Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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118. Die silberne Taschenuhr

Augustin, ein armer Student, blieb einst in einer Mühle über Nacht. Eine Bank in der untern Stube diente ihm zum Bette. Um Mitternacht wachte er auf und hörte neben sich an der Wand etwas ticken. Er schaute hin und erblickte beim Mondscheine eine silberne Taschenuhr. Es kam ihn eine große Lust an, die Uhr zu nehmen und damit durch das Fenster zu entfliehen. Das Gewissen sagte ihm zwar: Du sollst nicht stehlen. Allein die Begierde nach der schönen Uhr wurde immer stärker. Da sprang er mit einem Male auf und stieg eilends zum Fenster hinaus, um der Versuchung zu entrinnen. Als er einige hundert Schritte weit gelaufen war, reute es ihn, daß er die Uhr nicht genommen habe, und er wollte schon wieder umkehren. Allein sein Gewissen warnte ihn noch einmal, und er gab dieser Warnung Gehör und wanderte seinen Weg weiter.

Der Mond ging unter und es wurde sehr finster. Augustin verirrte sich in einen Sumpf, erreichte aber doch endlich eine Anhöhe. Dort legte er sich sehr ermüdet nieder und schlief fest ein. Mit Anbruch des Tages wurde er von einem gräßlichen Geschrei geweckt, und als er die Augen aufschlug, da überfiel ihn Schrecken und Entsetzen. Er lag unter dem Galgen, und über seinem Kopfe hing ein Dieb, um den sich eine ganze Schar krächzender Raben versammelt hatte. Da war es ihm nicht anders, als sagte in seinem Innern eine Stimme: Sieh, so wäre es am Ende dir ergangen, wenn du das Stehlen angefangen hättest. Er kniete nieder und gelobte Gott heilig, künftig jeder Versuchung sogleich und ernstlich zu widerstehen.

Je stärker die Versuchung droht,
Je fester halte dich an Gott.


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