Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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159. Der Horcher

Anselm hatte den Fehler, daß er gern horchte. Der Vater warnte ihn oft; allein es half nichts. Eines Abends kam ein Bürger aus der Stadt zu dem Vater in den Garten und sagte, er habe einiges insgeheim mit ihm zu reden. Der Vater ging mit ihm in das Gartenhaus, und machte die Tür zu. Anselm schlich sogleich herbei, und hielt das Ohr an ein kleines Astloch, das in der Tür war. Allein auf einmal ward ihm ganz wunderlich in seinem Ohre. Es war ihm, als krieche und krabble etwas darin herum, und bald darauf empfand er so entsetzliche Schmerzen, daß er laut schreien mußte und fast von Sinnen kam.

Der Vater eilte mit dem Bürger erschrocken aus dem Gartenhause. Man ließ einen Arzt holen. Dieser spritzte dem Anselm in das Ohr. Endlich kroch ein Ohrwurm aus dem Ohre hervor, der sich in dem Astloche versteckt hatte und dem Anselm in das Ohr gekrochen war.

Bist du nun für dein Horchen bestraft? sagte der Vater. Laß es dir künftig zur Warnung dienen! Manchem Horcher sind schon viel schlimmere Würmer als ein Ohrwurm, in das Ohr, ja in Kopf und Herz gekrochen: ich meine Mißverständnisse, Haß und Feindschaft. Du mußt dir diesen Fehler abgewöhnen, wenn du einst ein braver Mann werden willst.

Ein Mann von Ehre und Verstand
Schämt sich des Horchens an der Wand.


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