Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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104. Die Milch

Ferdinand, ein reicher Knabe aus der Stadt, spazierte an einem Frühlingstage auf einen benachbarten Bauernhof, ließ sich für sein Geld eine Schüssel Milch geben, setzte sich unter einem schattigen Baum in das Gras, brockte das Brot in die Milch und aß nach Herzenslust. Friedrich, ein armer Knabe aus dem nächsten Dorfe, der vor Hunger und Elend sehr mager und blass aussah, stand nicht weit von ihm, sah traurig zu und hätte auch gern etwas davon gehabt; allein, er war zu bescheiden, darum zu bitten. Dem reichen Ferdinand fiel es wohl ein, er solle dem armen Knaben etwas übrig lassen; er gab aber dieser guten Regung seines Herzens kein Gehör und aß begierig fort. Als er nun bereits die Mich aufgezehrt hatte, erblickte er auf dem Boden der irdenen Schüssel einen Reim. Er las ihn mit Erröten, ließ sogleich die Schüssel noch einmal füllen, und sich ein großes Stück Brot dazu geben. Dann rief er den armen Friedrich herbei, brockte ihm das Brot selbst ein und sprach ihm liebreich zu, es sich wohl schmecken zu lassen. – Den Spruch, sagte Ferdinand, der in der Schüssel steht, sollte man in alle Schüsseln vermöglicher Leute schreiben. – Der Spruch aber lautete so:

Der du des Armen kannst vergessen,
verdienest nicht, dich satt zu essen.


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