Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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124. Die Perlenschnur

Eine Edelfrau fuhr mit ihren zwei Töchtern zu einem Hochzeitsfeste, das auf einem fürstlichen Jagdschlosse tief im Walde gefeiert wurde. Alle waren prächtig gekleidet und mit Gold und Perlen geschmückt.

Am Eingange des Waldes kam die Kutsche einer Hecke zu nahe. Eine Dornstaude verwickelte sich in das Haar des einen Fräuleins und zerriß eine Perlenschnur, daß die Perlen weit umher zerstreut wurden.

Auf das Geschrei der erschrockenen Mutter und Töchter hielt der Kutscher augenblicklich und sie brachten wohl eine Stunde zu, die kostbaren Perlen aus dem Grase und den Gesträuchen herauszufinden. Die beiden Fräulein jammerten sehr, daß sie nun zur Hochzeit zu spät kämen. Allein jetzt kam ein Holzhacker fast atemlos aus dem Walde hervor und sagte: Hören Sie auf zu jammern und danken Sie vielmehr Gott. Denn in dem Walde lauern mehrere Räuber auf Sie. Ich wollte Ihnen die Nachricht sogleich bringen. Allein ich konnte nur auf großen Umwegen hierher gelangen, weil die Räuberbande den Wald besetzt hält. Wären Euer Gnaden nicht aufgehalten worden, so wäre ich zu spät gekommen, und Sie wären gänzlich ausgeplündert worden, und hätten wohl gar das Leben verlieren können. – Die Frau beschenkte den Mann, befahl dem Kutscher umzukehren und sprach zu ihren Töchtern: O meine lieben Kinder! Wie gut weiß Gott alles zu lenken! An dem Seidenfaden, an dem die Perlen angefaßt waren, hing unser aller Leben. Wäre dieses Fädelein nicht abgebrochen, so wären wir alle des Todes. Der Aufenthalt, den uns die zerrissene Perlenschnur verursachte, war also, so unangenehm er uns fiel, unser Glück. So gereichen alle kleinen und großen Widerwärtigkeiten nur zu unserem Besten.

O wüßten wir, warum uns Gott betrübe,
So wüßten wir, wie herzlich er uns liebe.


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