Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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170. Der Menschenfresser

Zwei Knaben aus der Stadt verirrten sich in einem fürchterlichen Walde und blieben dort in einem unansehnlichen, einsamen Wirtshause über Nacht. – Um Mitternacht hörten sie in der nächsten Kammer reden. Beide hielten sogleich die Ohren an die hölzerne Wand und horchten. Da vernahmen sie deutlich die Worte: Weib, schüre morgen früh den Kessel; ich will unsere zwei Bürschlein aus der Stadt metzgen. Die armen Knaben empfanden einen Todesschrecken. O Himmel, dieser Wirt ist ein Menschenfresser! sagten sie leise zu einander, und sprangen beide zum Kammerfenster hinaus, um zu entlaufen. Allein zu ihrem neuen Schrecken fanden sie das Hoftor verschlossen. Da krochen sie zu den Schweinen in den Stall und brachten die Nacht in Todesängsten zu. Am Morgen kam der Wirt, machte die Stalltür auf, wetzte sein Messer und rief: Nun, ihr Bürschlein, heraus; eure letzte Stunde ist gekommen!

Beide Knaben erhoben ein Jammergeschrei und flehten auf den Knien, sie doch nicht zu schlachten. Der Wirt wunderte sich, sie im Schweinestalle zu finden und fragte, warum sie ihn für einen Menschenfresser hielten.

Die Knaben sprachen weinend: Ihr habt ja heute nacht selbst gesagt, daß Ihr uns diesen Morgen metzgen wollt. – Allein der Wirt rief: O, ihr törichten Kinder! Euch habe ich nicht gemeint. Ich nannte nur meine zwei Schweinlein, weil ich sie in der Stadt gekauft habe, im Scherze meine zwei Bürschlein aus der Stadt. So geht's aber, wenn man horcht. Da versteht man vieles unrichtig, hat andere leicht im falschen Verdacht, macht sich selbst unnötige Sorgen, gerät in Angst und zieht sich manchen Verdruß zu.

Der Horcher wird gar manches hören,
Wodurch ihn Angst und Furcht betören.


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