Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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116. Die goldene Dose

Ein Oberst zeigte den Offizieren, die bei ihm speisten, bei Tische eine neue, sehr schöne goldene Dose. Nach einer Weile wollte er eine Prise Tabak nehmen, suchte in allen Taschen und sagte bestürzt: Wo ist meine Dose? Sehen Sie doch einmal nach, meine Herren, ob nicht etwa von Ihnen einer sie in Gedanken eingesteckt habe. – Alle standen sogleich auf und wendeten die Taschen um, ohne daß die Dose zum Vorschein kam. Nur der Fähnrich blieb in sichtbarer Verlegenheit sitzen und sagte: Ich wende meine Taschen nicht um; mein Ehrenwort, daß ich die Dose nicht habe, sei genug. – Die Offiziere gingen kopfschüttelnd auseinander und jeder hielt ihn für den Dieb. Am andern Morgen ließ ihn der Oberst rufen und sprach: Die Dose hat sich wieder gefunden. Es war in meiner Tasche eine Naht aufgegangen, und da fiel sie zwischen dem Futter hinab. Nun sagen Sie mir aber, warum Sie Ihre Tasche nicht zeigen wollten, was doch alle übrigen Herren Offiziere getan haben? – Der Fähnrich sprach: Ihnen allein, Herr Oberst, will ich es gern bekennen. Meine Eltern sind arm. Ich gebe ihnen daher meinen halben Sold und esse mittags nichts Warmes. Als ich bei Ihnen eingeladen wurde, hatte ich mein Mittagessen bereits in der Tasche – und da hätte ich mich ja schämen müssen, wenn beim Umwenden der Tasche ein Stück schwarzes Brot und eine Wurst herausgefallen wäre.

Der Oberst sagte gerührt: Sie sind ein sehr guter Sohn! Damit Sie Ihre Eltern desto leichter unterstützen können, sollen Sie nun täglich bei mir speisen. – Er lud alle Offiziere zu einem festlichen Gastmahle ein, bezeigte vor ihnen allen die Unschuld des Fähnrichs und überreichte ihm, zum Beweise seiner Hochachtung, die goldne Dose als ein Geschenk.

Wer seine Eltern liebt und ehrt,
Ist Gott und Menschen lieb und wert.


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