Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

157. Das geschickte Dienstmädchen

Lenchen war sehr geschickt; sie bildete sich aber auf ihre Geschicklichkeit nicht wenig ein. Ihre Mutter verdingte sie als Dienstmädchen zu einer Bäurin und sagte beim Abschiede: Bitte täglich Gott, daß er dir in deinem Dienste Glück und Segen gebe. Lenchen aber sagte: Mir ist nicht bange; ich verlasse mich auf meine Geschicklichkeit. – Sogleich am ersten Morgen sollte Lenchen einheizen und bemühte sich eine halbe Stunde lang vergebens, Feuer zu schlagen; endlich lief sie zur Nachbarin, Licht zu holen. Allein sie glitschte auf dem Eise aus und zerbrach die Laterne. Da bekam sie schon den ersten Verweis; indes entschuldigte sie sich damit, von dem Tauwetter sei der Zunder feucht geworden und auf der Straße Glatteis entstanden.

Hierauf mußte Lenchen in der Kammer unter dem Dache ein Körbchen voll Eier holen. Wie sie das Körbchen nehmen wollte, sprang eine Maus, die sich dahinter versteckt hatte, plötzlich hervor, und Lenchen erschrak so sehr, daß ihr das Körbchen aus der Hand fiel und die Eier zerbrachen. Die Bäurin, die noch wegen der Laterne zornig war, achtete wenig mehr auf Lenchens Entschuldigung und gab ihr einen noch schärferen Verweis.

Ueber eine Weile wollte Lenchen mit einem irdenen Topf voll Milch, den sie sehr vorsichtig auf dem Kopfe trug, zur Haustür hineingehen. Allein ein Eiszapfen fiel vom Dache in den Topf und schlug ihm den Boden aus. Als Lenchen, ganz mit Milch übergossen, in die Stube trat, ward die Bäurin so aufgebracht, daß sie Lenchen gar nicht zu Worte kommen ließ, und sie als ein ungeschicktes, tölpisches Mädchen fortschickte. Lenchen kam beschämt und mit verweinten Augen nach Hause, und die Mutter sagte: Siehst du nun, wie nötig es ist, um Gottes Segen zu bitten! Tausend kleine Umstände sind nicht in unserer Gewalt, und nur Gott kann sie so lenken, daß sie uns unschädlich oder gar nützlich werden.

Der Mensch bringt ohne Gottes Segen
Nicht das geringste Werk zuwegen.


 << zurück weiter >>