Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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56. Die Meise

Sieh doch die prächtige Kohlmeise dort auf dem Apfelbaume! sagte Lorenz zu seiner Schwester Luzia. Die will ich bald haben. Er kletterte auf den Baum, stellte dort einen Meisenschlag auf und verbarg sich dann mit seiner Schwester in der Gartenlaube, um auf den Vogel zu lauern. Die Meise ging richtig in die Falle und Lorenz war sogleich wieder auf dem Baume, fiel aber, indem er den Vogel herausnehmen wollte, samt dem Meisenschlage herab. Der Vogel war entwischt, und Lorenz hatte an einem abgebrochenen Aste die Hand verwundet. Luzia sagte: O du armer Bruder, deine Hand blutet. Nun wirst du es wohl bleiben lassen, noch einmal auf den Baum zu steigen, um die Meise zu fangen; du könntest sonst noch Arm und Bein brechen. – Ei, sagte Lorenz lachend, deshalb bleibe ich nicht drunten. Allein gegenwärtig wäre meine Mühe vergebens, denn die Meise scheut den Schlag, in welchem sie schon einmal gefangen war. – Wenn das so ist, sagte Luzia, so ist ja die Meise klüger, als du. Sie geht nicht mehr dahin, wo sie Gefahr wittert. Du aber, der du erst diesen Augenblick eine Wunde davon getragen hast, und mit genauer Not einem noch größeren Unglücke entgangen bist, willst dich dennoch mit lachendem Munde aufs neue in Gefahr wagen?

Wen kleines Unglück nicht kann weiser machen,
Der wird am Ende weinen, statt zu lachen.


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