Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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77. Die Eidechse

Eine arme Mutter ging mit ihren zwei Kindern auf den Schloßberg, nicht weit von ihrem Dorfe, um dort Kräuter für die Apotheken zu sammeln. Seht, sagte sie, als sie oben war, zu den Kindern, hier an diesen Felsen herum ist alles rot von Erdbeeren; pflückt und esset nach Herzenslust! Ich will indessen zwischen jenen alten Mauern Kräuter suchen. Sie ging. Allein kaum hatte sie einige Kräuter abgepflückt, so fing das kleine Lieschen an laut zu schreien. Die Mutter sprang erschrocken hin – und das Mädchen stand mit Augen voll Tränen da und sagte: O Mutter! Ein böses, giftiges Tier wollte mich beißen! – Allein der Knabe lachte und sagte: Es war nichts als eine Eidechse! – Nun, sprach die Mutter, da hättest du nicht erschrecken sollen; das schöne, goldgrüne Tierchen tut keinem Menschen ein Leid. Allein da die Mutter noch redete, entstand plötzlich ein so furchtbares Getöse, als donnerte es, und der Berg ward so erschüttert, wie bei einem Erdbeben. Alle blickten erschrocken umher, und sieh – die dicke Mauer, an der die Mutter Kräuter gesammelt hatte, war eingefallen.

O Kinder! sprach die Mutter, laßt uns Gottes heilige Vorsehung anbeten. Durch eine Eidechse – wer sollte es glauben! – rettete Gott mir das Leben. Hätte die Eidechse nicht eben in dem rechten Augenblicke Lieschen so erschreckt, daß es laut schrie – so läge ich jetzt unter jenen Steinen begraben!

Der Mensch sieht – hat er helle Augen nur –
von Gottes Vorsicht überall die Spur.


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