Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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106. Die Martinsgans

Heute ist mein Namenstag, sagte der kleine Martin zu seinen Geschwistern; heute auf die Nacht bekommen wir eine gebratene Gans. Sobald man abends das Licht anzündete, setzten sich die Kinder voll Freuden um den gedeckten Tisch und konnten den seltenen Braten kaum erwarten. Endlich kam die Magd herein, sah nach der Gans, die in dem Ofen der Stube gebraten wurde und sagte: Vor einer halben Stunde kann man noch nicht essen. Die Kinder fingen vor Ungeduld an zu weinen. Die Magd wollte eine List gebrauchen und sprach: Draußen geht heute ein fürchterlicher Mann herum, Klaubauf genannt, welcher ungehorsame Kinder in seinen Sack steckt, wenn ihr nicht schweigt, so gebe ich ihm die Gans. Die Kinder achteten wenig auf diese Rede und verlangten mit noch größerem Ungestüm, man solle einmal anrichten. Nun machte die Magd das Fenster auf, bot die Pfanne mit der Gans hinaus und sagte: Da, Klaubauf, hast du die Gans. – Ich danke, rief draußen mit rauher Stimme ein Dieb, riß ihr die Pfanne samt der Gans aus der Hand, und lief damit eilig davon. Die Kinder schrien jämmerlich zusammen und auf ihr Geschrei kam die Mutter in die Stube. Als sie vernahm, was geschehen war, sagte sie: Ihr Kinder seid nun für euer gewalttätiges Wesen bestraft, und könnt nun anstatt des Bratens mit einer Suppe vorlieb nehmen. Dir aber, sprach sie zur Magd, habe ich deine albernen Märchen schon oft untersagt; ich werde dir nun für deine übel abgelaufene List – Gans und Pfanne an deinem Lohne abziehen.

Wohl dem, der sanft und redlich ist,
Denn selten hilft Gewalt und List.


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