Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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33. Das Mohnkörnlein

Ein Kaufmann kam von einer weiten Reise über das Meer zurück und brachte allerlei Kostbarkeiten mit nach Hause. Seine Anverwandten bewillkommneten ihn freudig und er erlaubte ihnen, von den mitgebrachten schönen Sachen nach Belieben ein oder das andere Stück auszuwählen. Die Männer wählten entweder eine reiche Goldstufe, oder eine rote, ästige Koralle oder eine Meerschnecke, die fein bemaltem Porzellan glich; die Frauen suchten sich gute Perlen, farbige Edelsteine, oder einen hellen, funkelnden Diamant aus. Ein sehr verständiger Mann aber griff nach einem kleinen zusammengelegten Papier, auf dem das Wort »Mohnsamen« geschrieben stand. Als er es öffnete, war aber nur noch ein einziges Samenkörnlein darin; die übrigen waren, weil sie so gar winzig klein sind, auf der Reise herausgefallen und verloren gegangen. Die Umstehenden lachten ihn aus; er aber sprach: Alle diese Dinge, die ihr gewählt habt, sind herrliche Werke Gottes: allein dieses kleine Mohnkörnlein ist noch ein größeres Wunder seiner Weisheit und Güte. – Der Mohn ist übrigens hierzulande noch gänzlich unbekannt; ich weiß aber dennoch so viel von ihm, daß ich dieses Körnlein allen diesen Schätzen hier weit vorziehe. Er brachte das Körnlein in seinem Garten mit großer Sorgfalt in die Erde und bekam noch im nämlichen Jahre so viel Samen, daß er im nächsten Jahre ein großes Stück Land damit anbauen konnte. Als die Leute den prächtig blühenden Acker voll großer Purpurblumen sahen, erstaunten sie und riefen: wie wunderbar weise hat Gott jenes Körnlein eingerichtet, daß alle diese schönen Blumen daraus hervorkommen konnten! – Als sie das reine, gute Oel kosteten, das aus den Samenkörnern bereitet ward, beteuerten sie, jenes einzige kleine Körnlein werde eine große Wohltat über das ganze Land bringen und sagten einmütig:

Die Segensfülle ist unendlich groß,
Die Gott in manches Samenkorn verschloß.


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