Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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26. Der Holzsplitter

Ein ehrlicher Amtsbote, der eine große Summe Geldes bei sich trug, wurde an einem rauhen Winterabende angegriffen, erschlagen und ausgeraubt. Man fand die Leiche im Schnee liegen, der weit umher vom Blute rot gefärbt war. Der Amtmann nahm noch in der Nacht bei angezündeten Fackeln die blutige Stätte in Augenschein. Da sah er einen Splitter von einem Knotenstocke liegen, und steckte ihn heimlich zu sich. – Alls er am andern Morgen in die Amtsstube ging, bemerkte er mit Entsetzen, daß an des Amtsdieners Knotenstocke, der neben der Tür lehnte, ein solcher Splitter fehle; und wirklich paßte der gefundene Splitter genau in die Lücke hinein. Der Amtmann gab nun sogleich Befehl, den Amtsdiener als den Mörder zu ergreifen und in Ketten zu legen. Der Bösewicht leugnete anfangs trotzig die Tat; allein das kleine stumme Stücklein Holz zeugte laut gegen ihn. Er erblaßte und bekannte: er habe gewußt, daß der Bote dem Amte eine ansehnliche Summe Geld überbringen werde, und da habe ihn die Geldgier verleitet, den guten Mann, der ihm nie ein Leid getan, zu ermorden.

Den Sack mit dem Gelde hatte der Mörder uneröffnet unter einem Holzstoße verborgen, und so das Geld, wegen dessen er den Mord beging, nicht einmal gesehen. Er wurde unter einem großen Zulauf des Volkes durch das Schwert hingerichtet. Jedermann wunderte sich, daß ein so kleiner Umstand das geheime Verbrechen an den Tag gebracht habe, und alle durchdrang ein ehrerbietiger Schauer über Gottes strafende Gerechtigkeit.

Viel Böses bringt hier Gott ans Licht;
Doch alles einst beim Weltgericht.


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