Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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98. Das Regenbogenschüsselein

Die kleine Lina stand nach einem milden Frühlingsregen am offenen Fenster und betrachtete mit Entzücken die lieblichen Farben des Regenbogens. Liebe Mutter, fing sie nach einer Weile an, man sagt, wenn ein Regenbogen am Himmel erscheint, falle ein goldenes Schüsselein vom Himmel; aber nur ein Sonntagskind könne es finden. Gibt es ein solches goldenes Kleinod? Und wer sind die Sonntagskinder, denen es beschert ist? – Die Mutter sagte: Es gibt allerdings ein Kleinod des Himmels, gegen das alles Gold der Erde nichts ist. Die Sonntagskinder aber, denen es zuteil wird, müssen eben nicht an einem Sonntage geboren sein. Die Hauptsache ist, daß sie keine alltäglichen Menschen, sondern immer und überall so fromm und sittsam seien, wie Sonntags in der Kirche. Sei du ein solches Sonntagskind, und du wirst jenes Kleinod sicher erlangen. – Lina befliß sich von ganzem Herzen, fromm und gut zu sein; und da sie immer frömmer und besser wurde, so wurde sie auch immer zufriedener und fröhlicher. Als nun wieder einmal ein Regenbogen am Himmel glänzte, sagte die Mutter: Nun, Lina, gehst du nicht hinaus, jenes goldene Kleinod des Himmels zu suchen? – Liebe Mutter, sprach Lina, ich war ein törichtes Kind; jetzt aber ist mir der Sinn deiner Worte erst klar. Du meintest eine edlere, köstlichere Gabe als Gold. – So ist es, liebste Lina, sprach die Mutter. Jenes Himmelsgeschenk, das ich meinte, und das alle Erdenschätze weit übertrifft, ist die wahre Glückseligkeit des Menschen. Außer uns, in der Welt, suchen wir sie vergebens; wir finden sie nur innerlich in uns, in einem frommen, guten und reinen Herzen.

Ein Herz, das wahrhaft gut und rein,
wird schon auf Erden selig sein.


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