Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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117. Der Tabakspfeifenkopf

Franz Braun war der Sohn einer armen Witwe auf dem Lande, und wurde wegen seiner schönen Stimme als Singknabe an dem Musikchore der Stiftskirche in der Stadt aufgenommen, fing an zu studieren, gab fernerhin Unterricht in Latein und in der Musik, um seinen Lebensunterhalt zu gewinnen und brachte es durch seine ausgezeichneten Talente und seinen unermüdeten Fleiß so weit, daß er Doktor der Rechtsgelehrsamkeit wurde, und daß ihn der Präsident der Regierung zu seinem Sekretär nahm. Der neue, überaus geschickte Herr Sekretär machte sich begründete Hoffnung, bald ein einträgliches Amt und überdies Amalie, die Tochter des Präsidenten, zur Ehe zu erhalten. Eines Tages, da eben Jahrmarkt in der Stadt war, kam ein alter ehrwürdiger Landmann, den Franz gar wohl kannte, zu ihm und sagte: Ihre alte kranke Mutter läßt Sie grüßen und um eine kleine Unterstützung bitten. Franz gab ihm einen kleinen Taler und sagte fast verdrießlich: Bringt Ihr das.

Nachmittags ging die Familie des Präsidenten auf den Markt, um zu sehen, was es da Schönes gebe und um eines oder das andere einzukaufen. Franz ging mit und erblickte da einen Pfeifenkopf von Meerschaum, der ihm gefiel, kaufte ihn und gab dafür zwei große Taler. Amalie, die Tochter des Präsidenten, eine sehr schöne, verständige und edelgesinnte Jungfrau, die bisher zu Franz eine geheime Neigung gefaßt hatte, wußte, daß er heute morgen seiner kranken Mutter bloß einen kleinen Taler geschickt hatte; es mißfiel ihr sehr, daß er für eine sehr entbehrliche Ware zwei große Taler hingebe, und ihr ganzes Herz wandte sich von ihm. Sie erzählte ihrem Vater, dem Präsidenten, davon. Dieser sprach: Auf einen Menschen, der, so geschickt er sonst sein möge, für seine arme, kranke Mutter kein Gefühl hat und mehr auf sein Vergnügen, auf Eitelkeit und Tändeleien bedacht ist, kann man sich nicht verlassen.

Franz erlangte, anstatt Rat zu werden, mit Mühe eine kleine Beamtenstelle auf dem Lande, und man hörte weiter nichts mehr von ihm.

Wer seine Eltern nicht aufrichtig liebt und ehrt,
Dem wird wohl selten großes Glück beschert.


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