Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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102. Das Brot

Zur Zeit der Teuerung ließ ein reicher Mann die zwanzig ärmsten Kinder der Stadt in sein Haus kommen und sagte zu ihnen: In diesem Korbe da ist für jedes von euch ein Brot. Nehmt es, und kommt alle Tage zu dieser Stunde wieder, bis Gott bessere Zeiten schickt. Die Kinder fielen über den Korb her, stritten und zankten um das Brot, weil jedes das schönste und größte haben wollte und gingen endlich fort – ohne nur zu danken. Nur Franziska, ein ärmlich, aber reinlich gekleidetes Mädchen, blieb bescheiden in der Ferne stehen, nahm das kleinste Laibchen, das im Korbe blieb, küßte dem Manne dankbar die Hand und ging dann still und sittsam nach Hause. – Am andern Tage waren die Kinder ebenso ungezogen und die arme Franziska bekam dieses Mal ein Laibchen, das kaum halb so groß war, als die übrigen Brote. Als sie aber nach Hause kam und ihre kranke Mutter das Brot anschnitt – da fielen eine Menge neuer Silberstücke heraus. Die Mutter erschrak und sagte: Gib das Geld den Augenblick wieder zurück; denn es ist gewiß aus Versehen in den Teig hineingekommen. – Franziska trug es zurück. Allein der wohltätige Mann sprach: Nein, nein, es war kein Versehen. Ich habe das Geld in das kleinste Brot hineinbacken lassen, um dich, du gutes Kind, zu belohnen. Bleibe immer so genügsam, friedfertig und nachgiebig, wer lieber mit dem kleineren Brote zufrieden ist, als um das größere zankt, dem bringt es reichlicheren Segen, als wäre Geld in das Brot hineingebacken.

Genügsam, friedlich, dankbar sein,
Bringt mehr, als Zank und Streiten ein.


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