Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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122. Der Taft

Afra, die Tochter eines Schuhmachers, führte ihrem Vater, der Witwer war, die Haushaltung. Sie war fleißig und geschickt; nur hatte sie eine zu große Freude an schönen Kleidern. Einmal brachte sie zehn Ellen karmesinroten Taft zu einem Kleide nach Hause, die Elle zu einem Gulden und dreißig Kreuzer. Sie sagte aber zu ihrem Vater, der nicht wollte, daß seine Tochter sich so kostbar kleide und der sich übrigens auf dergleichen Waren nicht verstand, die Elle koste nur dreißig Kreuzer, und sie hörte nicht auf zu bitten, bis ihr der Vater fünf Gulden, und noch einen Gulden weiter, angeblich für das Macherlohn, bezahlte. Afra strich die sechs Gulden hoch erfreut ein, legte noch neun Gulden, die sie mit vieler Mühe sich erspart hatte, heimlich darauf und ging hin, den Taft zu bezahlen.

Indessen sie fort war, kam ein Jude, der mit Leder handelte, sah den Taft liegen und fragte, was die Elle koste. – Der Taft ist teuer, sagte der Schuhmacher; die Elle kostet dreißig Kreuzer. – Der Jude sprach: Nun, der Taft ist eben nicht schlecht. Ich gebe Euch auf der Stelle sechsunddreißig Kreuzer für die Elle. – Der Schuhmacher gab ihm den Taft und der Jude zählte das Geld hin, steckte den Taft vergnügt in seinen Quersack und ging.

Als Afra heim kam, sagte der Vater zu ihr: Du wirst dich freuen, Afra; ich habe indessen einen guten Handel für dich gemacht. Denke nur, ich habe deinen Taft einem Juden verkauft – die Elle für sechsunddreißig Kreuzer. Du hast also an jeder Elle sechs Kreuzer gewonnen, und kannst dir jetzt wohl noch einen schönern Taft kaufen!

Afra erschrak, daß sie so weiß wurde, wie die Wand. Ach, welch ein Schaden! schrie sie im ersten Schrecken und schlug die Hände zusammen. Der Vater merkte jetzt, daß sie ihn vorhin angelogen habe. Sie gestand unter vielen Zähren, daß sie für die zehn Ellen Taft fünfzehn Gulden bezahlt habe und nun neun Gulden daran verliere. Der Vater aber sprach: Das ist die wohlverdiente Strafe deiner Lüge; du hast dich durch deine eigene Schuld um dein sauer erspartes Geld gebracht. Ich nehme meine sechs Gulden, die mir der Jude bezahlt hat, hiemit wieder zurück – und gebe dir, weil du so falsch gegen mich gewesen, keinen Pfennig mehr zu einem so kostbaren Kleide. Merk:

Nichts gewinnt,
Wer Lügen spinnt!


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