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Sommerabend in New York

Es ist der letzte Abend vor der Ozeanreise. Das sommerheiße New Yorkpflaster riecht nach den Gummirädern und nach der Wagen eingeölten Federn.
Über der Hochbahn Eisenpfeilern jagen und rasseln die gefüllten Abendzüge, die, gleichwie Eisendärme, die Menschen durch den Riesen New York tragen.
Benzindämpfe und Abendstaub, die lagen noch in stillen Seitenstraßen, wo lange Reihen Boardinghäuser, wie Tafeln regelmäßig, ragen.
Unter den Türen auf den Häuserstufen, die auf die Straße führen, sitzen in Hemdsärmeln die Herren und, weißgekleidet, Damen, daß sie die Abendluft ein wenig spüren.
Und drinnen aus mechanischen Klavieren ruft in die tote Straße ein neuer Walzer seine Notenmasse. Des Tages Hitze steckt als Knebeltuch
Noch allen Häusern dick in jeglichem Gelasse. Vom heißgekneteten Asphalt dampft Pechgeruch; Rauchwolken, die sich plötzlich rühren, umrasen dich im Knäul
Mit giftigem Benzingestank, wie Spuk und Greul. Und rings der Wagendonner aus den Nebenstraßen ist wie ein unterirdisches Geheul zu spüren.
Ich lasse mich von einem Tramkar, fort durch die Straßenschar, nach einer Landungsstelle zu dem Fluß hinführen,
Wo an den dunklen Anfahrtshallen und ihren Stiegen, in gelber Abendhelle, Flußdampfer blendend weiß wie Wassergeister liegen.
Viel tausend Menschen drängen abendheiß und hängen wie die Fliegen aneinander und zwängen sich um jeden Preis auf diese Schiffe hin zum Nachtgenuß der Wasserluft.
Es ist ein schattenhaft Gewander der Riesenbäuche dieser Dampfer auf dem Abendfluß. Ich sitze auf dem Deck, in reingekleidet frohe Menschenmassen eingestaut,
Und sehe auf New York am Ufer, das sich, gleichwie ein finster Säulenmeer, mit seinen Häuserhälsen gleichwie sich selbst beschaut.
Die höchsten Häuser stehen granitnen Pfeilern ähnlich in der Nacht. Milliarden Lampen starrten von manchem himmelhohen Dächergarten zur Abendluft,
Als ob die Menschen in der Höhe dort mit Licht Nachtgöttern hell aufwarten. Die Riesenhäuser ragen wie die Stümpfe von Vorweltbäumen
Und wie phosphorglühend hoch zu den Uferräumen an dem Hudsonfluß. Sie sind wie aller Menschen höchstes Wagen,
Als ob sich Menschenwünsche ein Lebenszelt aus Stein und Eisenleitern, hoch und breit, als Weg hin zu der Sterne Unergründlichkeit, an Stelle der Gedankenwelt aufschlagen.
Mein Auge fällt dann hin auf meines Schiffes Deck, das trägt von Tausenden von Damen, die alle weiß gekleidet, ein einzig weißes Kleid, gleichwie ein weißes Zelt vom Bug bis an das Heck.
Das Schiff trägt lautlos diese weiße, junge Frauenwelt. Fast alle jungen Damen zärtlich mit einem jungen Mann am Arm zur Nachtluft kamen.
Und viele Reihen halten sich umschlungen, und einige Männer hatten Mandolinen, die haben Sehnsüchte zur Nacht gesungen.
Die Damen alle ohne Hut, die Herrn in Hemdärmeln, weißen, und um die Hüften einen knappen Ledergurt. Schulter an Schulter haben sie auf langen Bänken dicht gedrängt geruht.
Nie sah ich Ähnliches je in der alten Welt wie hier bei der Millionenstadt New York, wo öffentlich und ungezwungen zu Tausenden das Frauenherz und Männerherz
Gleichwie ein einzig Paar zusammenhält. Verwundert staunte ich, daß in dem Land, wo eben noch der Weltstadtriese New York mit Stein und Eisen himmelstürmend im Sterngewimmel in der Nacht verschwand,
Die Liebe jetzt als Riese und als Riesin vor meinen Augen auf dem Dampfboot stand. Das Schiff glitt hin weit fern vom Häuserschwarme, verstummt
Und eingemummt in Herrn- und Damenarme, zärtlich umsummt von dünnen Mandolinen und wie behaglich dumpf umbrummt im Schiffbauch von den Stahlmaschinen.
Die Eisenhebel schlugen Takt. Weit draußen, in die Finsternis gepackt, erschien hoch überm flachen Ozeannebel die bronzene Figur der Freiheit, der eine Riesenfackel breit im Arm elektrisch flackt
Sie ruft, am Hafeneingang in die Docks als Riesenweib gestellt auf ein paar Riffe, die fremden Schiffe hin zu ihrem Eisenleib.
Und ihr elektrisch Fackellicht kreist in der Nebelluft wie eines Weibes Wille, der dir den Weg zu deinem Hafen weist.
Die Brooklynbrücke, wie aus Seidenfäden über die Nacht gespannt, hing hoch im Wolkenland, von Strand zu Strand, über der Wasserlücke.
Als wäre sie ein Spinnwebfaden, gewoben von der Freiheitsfrau, die dort am Ozean stand, das Eisenhaupt gehoben.
Und Coney-Eiland, die Vergnügungsstadt, fand sich jetzt ein mit rot und weißem Lichterbrand, die mit Musik und Licht die Nacht und auch den Meerstrand hell erfreut,
Mit lichtgesäumten Türmen, Schanzen, wie eine Stadt aus Goldsand in die Nacht gestreut, dicht an des Ozeans Rand.
Das Schiff, von weißen Frauen dicht bedeckt, gleich wie von einem weißen Vogelheer, lief an die Lichtstadt an und an das Glühlichtmeer.
Mit hunderten Theatern und mit Myriaden Lampen an den Meeresrampen ausgespannt, lag hier das lachende Vergnügen in diesem Land der Riesen als Gigant.
Du kamst dort in Vorwelttheater, in Krater und in Eisregionen; der Bühne spielende Maschinen entführen dich in Steinweltzonen,
Wo als Schauspieler Adam, Eva und auch Gottvater dir erschienen, und rote Sonnen gleichwie Riesentropfen Blut, wo sich die Schaulust
Wohltut nur an Weltsystemen und an Sündflut und läßt im Chaos Erden grünen und untergehen und ergrauen; nur Riesenhaftes war zu schauen,
Für Riesenkinder zum Vergnügen, die hier in vollen Zügen die Welt entstehen und zerbersten sehen wollen und greifen auf Millionen Jahre voraus der Zeit,
Und lassen nicht sich an dem kurzen Menschenalter warm genügen und spielen zum Vergnügen, im Sommerabend nach getaner Arbeit, ein wenig mit dem Riesen Ewigkeit.
Um Mitternacht kam ich zurück zur Weltstadt, unter die Wolkenhäuser, wo jedes Haus groß wie ein Urweltbaum.
Das weiße Schiff voll still verliebter Männer und voll Frauen lief aber mit mir tief noch bis in meinen Schlaf und Traum.

 


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