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Bahnhof zur Nacht

Der Zug, den ich nach Lucknow nehmen sollte, ging erst des Morgens früh um drei.
Die indische Eisenbahn stellt europäischen Reisenden vom Abend an das Schlafen in den Wagen frei.
Der Bahnhofsplatz ist nachts ein Markt, Händler verkaufen, feilschen mit Geschrei,
Und alle scheinen hier im Schlafe wach zu wandeln, als ob sie hier die Nacht stückweis' als Ware sich verhandeln,
Sitzen um Feuer groß entfacht; sie braten, sieden, schmoren,
Und keinen Frieden finden in dem Bahnhofslärm die Augen und die Ohren.
Die Indier reisen wie die Wanderratten, fast alle Züge sind voll zum Entgleisen,
Als ob sie nur ihr Leben in steter Eile hatten.
Und ungezählt, wie nur die Waldameisen, sind Wagen dichtgedrängt die ganze Nacht
Als wenn das Leben nur am Reisen hängt.
Die Züge brausten zu der Bahnhofshalle hinaus, hinein
Und sausten, mit den nackten Reisenden beladen, endlos wie schwarze Eisenfaden.
Auf den Geleisen und den Bahnhofsrampen standen Signallaternen, Weichenstellerlampen,
Und bei dem Tuten, bei dem Pfeifen und dem Fauchen, bei Dampfspiralen in der Luft
Konnten mir meine Sehnsuchtsqualen besänftigt untertauchen, als ob um mich Europas Straßen rauchen.
Ich pries die laute Nacht voll Eisenlärm, die keinen ruhen ließ,
Rangiermaschinen und Lokomotiven, auf die der Mondschein stieß.
Durchs Wagenfenster schien die Welt mir draußen ein Heimatsparadies.
Ich wußte nicht mehr, daß der Taj Mahal und weiß auch Lotossaal bei Saal im Fort von Agra hinterm Bahnhof stand.
Es war, als reichte mir die Liebste, am Bahnhof heimgekehrt, die Hand,
So daß ich Ruh' im Lärm wie keiner fand.

 


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