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Das heilige Nara

Es gibt Orte, die sind stark, mehr als ein menschlicher Wille, und werden von Menschen gepflegt, denn ihre Stille trägt eine Lust ohne Worte.
Als ein solch' glücklicher Ort fühlt sich Nara an, der heiligste Wallfahrtswald im ganzen Japan. Überall bietet man dir in den Städten Nara in Bildern zum Kauf an;
Doch wie kann eine deutliche Photographie die Innigkeit und die unendlich graue Zeit der Dinge von Nara schildern.
Stets zeigt man dir Rehe und Hirsche, Waldwege und Tempellaternen und Tore, aber ich sehe auf keinen Bildern die Nähe der verzaubernden Luft,
Die dich in Nara aus der Welt fort in deine früher gelebten Leben ruft. Ich kam in Nara nach einer kurzen Fahrt mit der Eisenbahn
Von Kioto her morgens an; sah unterwegs manche Dörflein und unter die grünen, wehenden Bambusrohre luftiger Bambuswälder hinein.
In Nara dann zieht ein Weg durch die kleine Budenstadt, sanfte Hügelflächen hinan. Ein brennend roter, vielstöckiger Pagodenturm
Und rote Lackwände sehen dich aus dem lauschig grünen Waldgelände, wie rote Scheiterhaufen, leuchtend an.
Die dunkel geschweiften Säume der Pagodendächer schwimmen wie Luftschiffe über dem finstergrünen Fächer der Kryptomerienbäume.
So weit dein Auge reicht, bis an die fernsten Bügel der Waldsäume, trittst du ein in einen den Göttern geheiligten Hain.
An den weiten Lotosteichen vorbei, die sich im grünen Rasen vor den roten Tempel wie Spiegelgläser ausbreiten, zieht sich ein Weg in einen hochstämmigen Zedernwald.
Unter den rötlichen Zedernstämmen, die, dicht gleich hölzernen Dämmen, dem Wegrand kaum Licht geben, stehen hunderttausende Steinlaternen;
Die ziehen, wie eine Wallfahrt von Steingestalten, zu beiden Seiten des breiten Waldweges tief ins Walddunkel hinein, immer begleitet von den Riesenzedernstämmen, den zeitlos alten.
Die großen und kleinen Steinlaternen nirgends ihren Zug anhalten, sie folgen den Wegwindungen bergauf und waldein,
Sind wie die Beter und Wallfahrer, die überm Beten ihren Weg vergessen; und der Wald verwandelte die Köpfe der Hunderttausende zu Stein.
Du begegnest immer neuen Laternenreih'n, sie bevölkern alle Waldlichtungen mit grauem Stein, schöngemeißelt, geschweift und geschwungen,
Auf graue Quadern gestellt, massiv und gedrungen, als sollten sie ausdauern, wie des Waldes Grundmauern, bis ans Ende der Welt.
Manche der Steinlaternen aber waren schief, manchen das Moos gleich grünen Barthaaren am Stein herablief, manche grau und brüchig wie ein Skelett, das schon hundert Jahr am Waldboden schlief.
Aber die meisten sind unverwüstlich und bilden eine heilige Schar auf den Wegen, auf den Waldstufen und Waldplätzen, wo sie, zusammengerufen wie die Köpfe großer Volksmassen, rings die Ränder der Waldwege einfassen.
Dazwischen aber saßen, aus schwarzer Bronze gegossen, schwarze Hirsche, hochgeschossen auf Sockeln, und Buddhafiguren, von den grauen Heeren der Steinlaternen eng eingeschlossen.
Die Formen der japanischen Tempellaternen lehren dem Unwissenden die Fundamente und Normen der Welt, den der steinerne Aufbau einer Tempellaterne darstellt.
Der Würfelstein, auf dem jede Laterne aufstrebt, stellt die Erde dar, auf der des Menschen Fuß lebt. Das Laternengehäuse aus Stein
Soll die Feuerflamme sein, die sich senkrecht aus der Erde erhebt; darüber das gestülpte Glockendach macht die Tropfenlinie des Wassers nach;
Und wieder darüber eine kleine Schale, geöffnet nach oben, will der Becher der Luft sein; diese hält als Abschluß, hochgehoben, eine Kugel: die Ätherwelt,
Den Äther, der abgerundet das Symbol aller höchsten Erkenntnis darstellt. Die Erde, das Feuer, das Wasser, die Luft und den Äther jede Laterne mit ihrer Formengebärde anruft.
Und hunderttausend Seelen brachten aus dem weiten Japan nach Nara in den Wald hunderttausendmal dies Symbol ihrer Andachten.
Und das Gedenken an Erde, Feuer, Wasser, Luft und Äther, die allen Lebenden zusammen das Leben schenken, wuchs zu einer Steinherde an,
Daß der Wald kaum ausreicht und einer Gedenkstadt gleicht. –
Eh ich noch den Waldweg betrat, hat mich ein großes Staunen benommen: an dreihundert Rehe sind spielend und springend aus den Büschen auf mich zugekommen.
Die Böcke, zutraulich, stießen ihre kurzen Geweihstöcke an meinen Arm; die Geißen und Kitzen ließen ihre großen, schwärzlichen Augen im Morgenschein umgehen,
Taten die durchsichtigen Ohren spitzen, sprangen mit leisen Sätzen heran und rieben ihre feuchten Lefzen an meinen Wangen.
Ich mußte mir lächelnd sagen: das war seit langen Reisetagen das erste Liebkosen, das ich rund um die halbe Erde empfangen.
Die zierlichen Rudel Rehe gingen und kamen, nahmen Futter, und ich fragte mich hier: Warum kommen Mensch und Tier nicht immer als Freunde zusammen?
Die dreihundert Rehe, die zahmen, gingen auf den Waldwegen neben mir und waren wie dreihundert Freunde dem Einsamen.
Begleitet von den blonden Rehen ohne Eile, ging ich unter den Zedern zwischen den Laternenreih'n und hatte gute Weile in dem morgendlichen Hain.
Die roten Masten der Zedernbäume, die sich nie rühren, sind wie die Balkengerüste der Waldräume; und auf spitzen Hufen, wie auf lautlosen Zehen,
Folgen Hunderte von gelben Rehen meinen Rufen, und die weißgetupften Tiere folgen über die Waldstufen, die sanft höher in den Waldsaal gehen.
Ich muß bei den feingliedrigen Gelenken der Rehe an Waldtänzerinnen denken; und die Zedern wie die roten Galerien in einem Ballhaus vor mir stunden.
Und als ich mich aus meinen Gedanken wieder umsehe, sind die hundert gelben Rehe verschwunden. Nur die grauen Steinlaternen besetzen in stummen Gruppen die Wegränder,
Wie ein graues Geländer, wie mit runden Köpfen steinerne Puppen. Der Weg hat sich tiefer durch die grünen Blattschuppen der Waldbüsche gewunden,
Und der Spuk von hunderttausend Laternenköpfen wird im Wald wie ein Jahrmarkt von steinernen Töpfen,
Und ihre totenstille Gebärde aus Erde, Feuer, Wasser, Luft und Äther sitzt mir wie eine fremde Kraft am Leib, als will ein Zauber mein Blut mir schröpfen.
Der Zedern senkrechter Schaft bei Schaft steht verfinsternd wie eine Plankenwand; nur ein paar grüne Zweige federn, der Frühwind geht leicht durch des Waldes Last,
Und es raschelt belebt manch toter Ast. Da dröhnt ein Gong, eine Geige streicht, eine Flöte tönt, der Weg, der wie vermauert stand, weicht im Bogen aus
Vor einer hellen Tempelwand und einem scharlachnen Torhaus. In das Waldgrün hinaus, freundlich rot und weiß, leuchtet Gebälk und Gemäuer,
Ziegeldächer und Tempelgemächer. Steinterrassen, darauf wie graue Zuschauer Steinlaternen standen, groß und klein, als ob sie sich gegenseitig maßen.
Durch den roten, geziegelten Eingang tret' ich in den Tempelhof hin, wo die Flötenmusik sang. Der Hofraum voll Kirschenblüten lebte,
Als ob ein seidengewirktes Zeltdach über mir schwebte, und der Hof erschien wie ein lila und rosig Gemach.
In einem Tempelschrein, der nach dem Hof zu offen war, tanzten auf einer Bühne Tempeltänzerinnen in weißen Seidenstoffen und wiegten sich zu der Priester Musik.
Diese sitzen am Boden mit bronzenen Mienen, in Mänteln dick aus safrangelbem Tuch, und dienen fröhlich mit Tänzerinnen und Flöten den Frühlingsgöttern, statt mit Gebet und Spruch.
Ich war gedankengebückt aus dem Wald gekommen und sah verwundert das heilige Tanzhaus im Tempelhof und auf die Tänzerin, die mit Scharlach geschmückt.
Ich erschien mir gar unscheinbar, wie eine Bücherlaus, die zwischen die farbigen Bilder von einem Märchenbuch gekommen war;
Ein Bilderbuch, wo erst halbdunkle Wege mit himmelhohen Bäumen schweigen und Myriaden von Laternen aufsteigen
Und blonde Rehe hin an den rötlichen Rinden der Bäume, auf leiser Zehe, den Weg dem Fremden zu hunderten zeigen,
Die dann dem Verwunderten verschwinden, eh' er's noch weiß. Und dann sich statt der Rehe spielende Geigen einfinden
Und sich der blaue Morgenhimmel mit rosigem Kirschreis behängt, darunter dich ein Kreis von lieblichsten Mädchen tanzend empfängt.
Vom Reispuder weiß wie die Blüten und rosig geschminkt, glühten wie Kirschengärten die kleinen Gesichter, blinkt wie eine Kirschenfrucht der Mund, kreisrund und scharlachen gemalt;
Das schwarze Haar zum Tanzfest geschmückt wie ein Juwelennest und in den Händen ein Blütenreis, frisch gepflückt.
Alle auf der Bühne fallen vor mir nieder im Halbkreis aufs Knie, liegen tief mit der Stirn zu den Strohmatten gebückt,
Stehen auf und beginnen sich wieder im Takt zu wiegen, tanzen leicht gleich Wesen ohne Schatten,
Als ob sie unendliche Zeit und unendliche Feier zum Tanz vor den blühenden Kirschenbäumen hatten.
Sie tragen viele Seidengewänder übereinander; von jedem Gewand sieht man aufgeschlagen die wattierten blauen und rosenroten Schleppenränder,
Diese gleißen unter den Säumen des Obergewandes, des weißen. Die Mädchen klatschen rhythmisch die Hände, wiegen die Köpfe unter den weißseidenen Stirn binden und unter dem Flitter und Haarnadelschmuck
Und folgen mit Geschick dem Gong und dem Geigengezitter, als wär' die Musik verführender Hände Druck.
Vor den Tempeltänzerinnen, mitten im Hofe drinnen, steht ein Baum frühlingserregt in dem Blütengelände;
Der ist ein Wunder im Himmelsraum, da er sechs verschiedene Blütenzweige trägt: weiß die Pflaumenblüte, lila Glyzinen und rosig den Kirschenflaum,
Pfirsich- und Ahornreis und noch die Blüte von einem Orangenbaum.
Inmitten der Tempelzinnen mit sechsmal verschiedenen Mienen bemeistert dich dieser Wunderstamm, als wär' er begeistert von Sinnen,
Sechsmal der Lieb' und dem Frühling zu dienen.
Zahm sind hier nicht allein die Rehe, zahm sind auch die Bäume im Narahain, es blühen hier sechs auf einer Wurzel verliebt im Verein.
Bald nichts mehr unmöglich und wunderbar dem Einsamen hier erscheint in der Wunder Schar,
Weder sechsfach Geblühe, noch im Wald das Geigengesinge, noch der Mädchen Tanz ohne Mühe, noch die Rehe, die zahmen;
Mir war, als kamen meine Augen in Nara zum Anfang aller Dinge, wo alle voll Liebe das Leben nahmen.

 


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