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Tibetanische Gebräuche

Inmitten im Tempelhof ist ein Stein. Dort werden die Leichen in Stücke zerschnitten;
Die Tibetleute graben ihre Toten nicht ein. Sie füttern die Bergadler, Geier und Raben;
Die Priester allein das Recht der Totenzerschneidung haben.
Das Dorf ist klein, wo der Priester jeden kennt wie sein Kind, die Freund und Feind ihm sind;
Sie alle kommen noch einmal als Tote zu ihm in den Tempel hinein.
Er zerbricht die Knochen derer, die gepraßt am Leben, indes er zugeschaut daneben.
Und jetzt endlich darf er den Arm aufheben und das verwünschte Fleisch, das er immer gehaßt,
In kalten Stücken den Raubvögeln und den vier Winden geben.
Einen Augenblick ist es, als nähm er von seinem Rücken der Entsagung Last
Und vom Herzen unsichtbare Krücken.
Den Ehebrechern sägt er im Tod die Schädelschalen ab, dem Weib und dem Mann,
Schweißt die Schädel mit den Wölbungen zusammen, spannt über jede der Höhlungen ein Membran
Und schlägt die zwei Trommeln morgens und abends im Tempel an,
Damit die Seelen der treulosen Beiden nie Ruhe finden und ewigen Lärm in den Schädeln leiden.
Und alle Geister gehorchen dem tibetanischen Priestermann, vom Himalaja bis hinauf zu den Sternen,
Die Hausgeister und Sehnsuchtsgeister der fremdesten Fernen.
Statt Gebete zu plappern, ziehen die Priester mit Gebetsmühlen, klein wie die Kinderrasseln,
In den Dörfern aus und ein mit lautem Klappern,
Stecken geschriebene Gebetzettel in die Mühlen hinein
Und lassen die Mühlen in lärmenden Reihn an Stelle der Herzen zum Himmel schrein.
Ich sah auch den Gott »Genuß«, der mit vielen Armen alles hält, was dem Leib als schmackhaft gefällt;
Er ist aus Bronzeguß und sein Sockel ein Weib, und er hat als drittes Bein einen mächtigen Phallus.

 


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