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Abend in der Theaterstraße von Kobe

Immer wieder warten deine Ohren in den japanischen Straßen auf Geschrei und Rumoren, aber lautlos emsig zogen die graugekleideten Menschen in den Kobestraßen vorbei,
Humpelten geschäftig und eintönig Männer, Frauen und Kind auf den winzigen Holzbänklein, die ihre klappernden Schuhe sind.
Kaum daß sie einen neugierigen Blick dir schenken. Alle versenken sich arbeitsam, und aller Handel bewegt sich mit Ruhe,
Als wenn hier alle Leute geduldig am Lebenstor Queue stehn und sind zahm, weil jeder hier wußte, daß er vom Leben seine Lebensration bekam.
Am Abend nahm ich einen Rikschawagen zur Theaterstraße; dort ist Theater neben Theater aufgeschlagen.
Am Wege hie und da manches erleuchtete Wohnhaus, wie eine Laterna magica, mich ansah. Durch die papierhellen Wände fielen die Schattenbilder der Menschen wie Gespenstergraus.
Man sah der Insassen vergrößerte Schattenhände, die liefen durch Lichtkegel wie Riesenspinnen auf die Straße hinaus,
Und manche erleuchtete Papierwand stand in der Nachtluft wie ein weißes Segel, und viele Häuser zeigten ihre offenen, hellen Gemächer unter der dunklen Fracht ihrer schweren Ziegeldächer
Und waren wie für die Scharen der Sterne weit aufgemacht. In den langen Straßen hinunter standen diese winzigen Häuslein wie helle Schubladen und Fächer,
Und ihre Dächer darüber wie von geschweiften Schiffen die Schatten, die sich zur Nacht neben einander verankert hatten.
Auf einem weiten, unbebauten Feld lag die Theaterstraße, wo den Nachthimmel Hunderte Lampen und Laternen gelb anschauten,
Und wo für wenig Geld auf vielen hölzernen Bambusbauten, hinter Schminke und Maske, die Schauspieler ihre Tränen verkaufen,
Ihre Gesten und Mienen darbieten zu Nachtfesten, daß ihnen die Menschen, wie die Bienen dem Honig, nachlaufen.
Die einstöckigen Bambushäuser da draußen beluden sich mit Papierlaternen, und alle Theaterbuden standen hell beschienen,
Mit langen Reihen von weißen Tuchbildern behangen, darauf die Szenen der Schauspiele, blau und rot, im Nachthimmel wie Hunderte Fähnlein prangen.
Ich bin zuerst im Menschengedräng vor diesen Bilderzelten hingegangen; und aus dem Budeninnern die Stimmen von den Bühnen
Gleichwie aus aufgestellten Phonographen klangen. Ich konnte nicht glauben, daß diese zerbrechlichen Holzhäuser die japanische alte Theaterkunst enthalten,
Daß sie manch Jahrhundert schon Japan zur Ehrfurcht zwangen mit ihrer Kunst, die ganz Japan bewundert. Denn diese Bambusscheunen gar keine Pracht enthalten.
Keine marmornen Treppenhäuser, keine Auffahrten auf die Besucher mit Prunksäulen warten; einfach wie Jahrmarktbuden, dünn wie die Häuser aus Spielkarten,
Hier die Theater nebeneinander in den Nachthimmel starrten. Und entlang an der Papierlaternen gedämpftem Schein und unter elektrischen Birnenlampen
War ein Volksgewimmel und einfaches Abendgewander, und nur die vielen lebhaften Augen glänzten ineinander hinein,
Aber nirgends war Lärm, und kein Geschrei riß die Nachtstille ein.
Nur ein Tuchvorhang oder eine dünne Bambuswand trennte den Zuschauerraum vom Straßengang.
Draußen Kopf an Kopf die Menge stand, und drinnen ich Kopf an Kopf die Leute am Boden auf Strohmatten niedergekauert fand,
Und alle horchten atemlos, als ob sie den leidenschaftlich besorgten Stimmen, die das Wort auf der Bühne hatten, alle ihren Atem borgten.
Ein viereckiger Platz, von einem Balkon umgeben, und die Decke getragen von manchem Balkenbaum, war der Zuschauerraum,
Aus honigfarbenem Naturholz, anspruchslos, luftig und groß; dagegen die Bühne war lang und tief, aber nicht höher als die Schauspieler bloß.
In dem langen, niederen Bühnenrahmen die Schauspieler mit jeder Geste, wie auf einem Relief, zur Wirkung kamen.
Und wuchtig war jeder Schauspieler hingestellt, daß zuerst er allein und nichts anderes dem Zuschauer in die Augen fällt.
Ich ging in ein Theater hinein auf den Zehen, indes ich die Worte zuerst auffing, ohne zu verstehen, und im Sehen am Schauspiel wie ein Tauber hing,
Dessen Augen allen Gesten mit Inbrunst nachgehen. Ich sah einen Akt, der wurde nicht gesprochen, sondern geweint.
Vorwurfsvoll und gebrochen kniete ein Kind, und ein Mann kam auf den Knieen zu ihm gekrochen; er hatte ihm, seinem Knaben, die Mutter verstoßen;
Und durch Verhungern zu sterben hatte diese bei sich beschlossen. Es war vom Drama der letzte Akt, und einsam, von Verzweiflung gepackt,
Erzählte der knieende Vater dem knieenden Kind, wie die Menschen einander doch ewig unbekannt sind
Und nicht mehr Willen haben als die Schatten, bewegt von der Kerze im Wind. Die Schatten, die ein Bilderleben treiben
Und die Menschen auf durchsichtigen Papierwänden beschreiben.
Der Mann hat geschluchzt, und das Kind, mit Gewimmer, sah das mutterleere Zimmer wie ein Gespenst betroffen an.
Offen waren alle Papiertüren, und der Hungertod, der die Mutter fortgetragen, war in allen Hauswinkeln noch, wie ein ausgebranntes Feuer, durch die Stille zu spüren.
Der Vater wollte mit Worten die eisige Ruhe wieder warm schüren, aber seine Zunge sprang nur wie der Wind in das Zimmer hinein,
Und sprach er auch auf das Kind ein, er konnte dem Kleinen doch nur der Vater und nicht auch die Mutter sein.
Und die beiden Knieenden konnten nur miteinander weinen; und bei einem Lämplein, das knisternd um sich ficht,
Knieten sie bei ihren Tränen, die in das Öl hineinfielen, und ein Schluchzen klapperte in ihren Zähnen,
Als ob die stillen Schmerzen, die großen Riesen, mit den Herzen der Verlassenen Würfel spielen. – –
Ich ging dann von diesem Theater in ein zweites hinein, da übten die Schauspieler Waffentänze auf einfacher Bühne.
Kühne Angriffe mit antiken Säbeln und Speeren, und einer schwang zwei Schwerter zugleich und hatte Geschicklichkeit, mit der Linken und Rechten
Unsichtbare Angriffe abzuwehren, und ich sah ihn mit sich selber fechten, er stellte zwei und mehr Menschen zugleich dar,
Fiel sich selbst an und verteidigte sich gegen eine unsichtbare Schar. Dann kam er in alter Samurairüstung angesprungen,
Breitspurig, blutdürstig und gedrungen, und spielte einen, der mit Speer und Schwert und Bogen und Pfeil dreifach auf einmal zielte;
Blitzgewandt flitzt der Pfeil, sitzt der Speer, hat das Schwert gebrannt.
Nach einer Weil' hab' ich mich einem dritten Theater zugewandt, da lachte ein lustiges Stück; volkswitzig saß einer, bei allen beliebt,
Und schon wenn sein Mundwinkel sich rührt und verschiebt, er damit das Zeichen zum Massenlachen gibt,
Und wenn sein Ohr zuckt und die Zunge ruckt und ein gewitzelt Wort ausspuckt, war er wie ein Floh, der das ganze Theater kitzelt,
Daß das ganze Theater fortguckt und sich unter Krümmungen juckt.
Aus diesem Lachen und Schrein trat ich fort in ein viertes Theater hinein, wieder zurück zu einem ernsten Wort.
Hier wurde ein Hofstück gespielt von Hofdamen und Damyons in einem Mikadoschloß. Die Bühne, die, wie alle, ohne Kulissen war –
Nur mit Schiebetüren wie in jedem japanischen Haus –, stellte ein Zimmer im Kaiserschloß dar, veranschaulicht auf der Papierwand durch etwas Goldgeschimmer.
Aber sonst kein Kulissenwust den Zuschauer fort vom Spiele lockte. Ein großer Schogun in der Mitte zwischen zwei Ministern auf dem Boden hockte.
Sie sprachen und rührten die Hand kaum, da eine Beratung stattfand. Aber von der Frau des Schogun war eine Hofdame als Horcherin ausgesandt,
Die erschien mitten im Stücke auf der Holzbrücke, welche die Bühne quer durch den Zuschauerraum mit dem Theatereingang nach der Straße verband.
Diese Brücke ist nicht höher als die Köpfe der hockenden Beschauer. Wenn die Dauer der Spannung erhöht werden soll,
Wenn von außen das Verhängnis einem Schicksal der Bühne naht, tritt der Schauspieler nicht auf der Szene ein,
Sondern kommt, wie von der Straße, durch den Zuschauerraum auf diesem Bretterweg auf der Brücke an den Köpfen der Menge vorbei,
In das Stück und in die Handlung hinein. Dabei drückt er in steter Verwandlung der Mimik den Charakter seiner Person aus.
Und ein Schauder geht durch das Haus bei seinem gestikulierenden Näherschleichen, Horchen und Erbleichen.
Aber er verrät sich mit keinem Ton, bis er an eine Türe kommt, die ist wie ein Zaun an der Bühne aus drei Hölzern gezimmert;
Und wenn er durch diese eingetreten, dann ist er erst vor den Mienen der Spieler im Stück erschienen. Die Zuschauer konnten schon lange ihm folgen,
Und jedem wurde bange, kommt das Drama mitten unter der Schaumenge in Gestalten angeschritten, die sich, wie außerhalb der Stücke, auf der Brücke zum Zuschauer halten
Und dann erst eintreten auf die Bühne, mit Schicksalsschwere den Knoten und die Tücke der Handlung zerspalten.
Die japanische Bühne ist nicht ein Guckkasten bloß, die Schauspieler faßten groß hinaus in den Zuschauerraum,
So daß das ganze Theater eine Handlung erhaben umschloß; und immer mit gleich viel Lust am Traum wie an der Wirklichkeit
Saß rings die Menschenmenge, unscheinbar in ihren mäusegrauen Kaftanen aus Seiden und rauchte zwei Züge und tauchte in den feinen Rauchfahnen unter
Und hatte unendliche Zeit für die aus dem Leben erdichteten Leiden.
Die Hofdame sollte den Tod eines Prinzen verhüten, der ist noch klein, ist des Schoguns Sohn; und sie schließt sich im nächsten Akt mit ihm ein und hält ihn versteckt.
Und sie erwartet ängstlich des Kindes Geschick, indessen draußen, von einer Papierwand verdeckt, spielt die Musik,
Holzstäbe klappern, Saiten zirpen und Trommeln pochen, das Kind und die Hofdame tändeln und plappern,
Bis die Stunde hart naht, wo die Gefahr sich enger und enger um das Versteck des Kindes dann schart. Schon zieht die Gefahr vorbei, krümmt dem Kind kein Haar,
Und man glaubt, es hat die Dame das Kind bewahrt, – bis der Hofdame Herz plötzlich selbst zu einem Mörderherzen erstarrt, –
Als sich ihr schnell, weiß vor Schreck, des Kindes Ähnlichkeit mit dem Schogun offenbart. Da erscholl kein Schrei in ihr, nur ein Pfeifen ihrer Kehle sagt,
Daß sie das Kind töten will, das Kind, das sie beschützen soll; denn des Kindes Anblick, das plötzlich dem heimlich Begehrten gleicht, macht sie toll;
Und für ihn, den sie liebt, der sie abwies, und der ihr nie gehören soll, wird sie verhängnisvoll ein Dämon. Sie erschrickt nicht vor Strafe und Tod; sie erstickt sein Kind mit ihrem Seidenärmel,
Weil das Kind bald wie der Mann, den sie haßt, bald wie der Mann, den sie liebt, auf sie blickt. Aber weil sie noch vor der Tat erblaßt, schminkt sie sich erst rot,
Lockt das Kind dann heran, drückt es an sich, verzückt und grausam zugleich –, und der Mord ist geglückt.
Aber danach liegt sie lange über das tote Kind gebückt, wie eine satte Schlange, und spricht Reden verrückt, indes die Musik mit dem Saitenspiel gluckt,
Wie von der Wollust des Mordes entzückt, indes die Musik wie ein Wasser das Lachen der Mörderin schluckt.
Dann stellt sich die Hofdame auf, bettet den Leichnam auf Kissen, stellt einen gemalten Wandschirm darum.
Niemand sollte den Mord als nur der verhaßte Schogun zuerst wissen. Aber sie eilte kaum durch die Tür auf die Brücke und in den Zuschauerraum,
Da begegnet ihr nicht der Schogun, sondern gleichwie ein Traumgesicht am Ende der Brücke steht ihres totgeglaubten Mannes aufgerichteter Leib.
Er lebt, kam zurück aus Verbannung und Not; sie glaubt, sie sieht seinen Geist, duckt sich schrittweis, kaum trägt sie ihr Fuß.
Doch sie erwägt, macht Freudenzeichen und geht ihrem Manne entgegen; der kommt näher mit seinen Dienern und bietet ihr Gruß, er, der Freund des Schogun, sieht sein Weib trotz der Schminke erbleichen.
Sie läßt ihn zitternd in das Gemach hinein, wo der Mord geschehen; er tritt ahnungslos ein, bis die Diener das tote Kind finden, hinreichen, –
Da sieht man das Weib fortschleichen über die Brücke, sich winden; ihr Mann, der den Bogen vor Wut gespannt, will, daß ihr der Tod nacheile,
Doch sie entfloh mit seinem Köcher voll Pfeile. Erst im nächsten Akt wird dann bekannt, daß sie Wahnsinn angepackt;
Und Tod und Rach' erhielten ihren Anteil: sie erstach sich mit einem vergifteten Pfeil.

 


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