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Nachtfahrt zum Kantontheater auf dem Perlfluß

Als kocht ein Kessel über, so sprangen laut von Stund' zu Stund' die Schreie aus der Nacht her, von der Kantonstadt zum stillen Schamien herüber.
Als hätt' die Stadt sich aufgemacht mit lautem Munde und gab' von Nachtfesten die Kunde. Der Mond, als Gast unter den Gästen, stand an der Dächer Rand,
Wie eine Lampe aus Papier, hellauf im Brand; er ließ mir keine Ruh' noch Rast. Gleichwie ein großer weißer Falter, so flog voraus der Mond,
Bis er zur Landungsstell' mich brachte, wo wie ein Kerzenhalter mit hunderttausend Lichtern hell der Perlfluß an der Ufermauer lachte.
Zu einer Fahrt hin zu dem Stadttheater, das mich sehr angelockt, lagen die Dschunken hier an Ufertreppen angepflockt.
Ich hatte im Hotel von den chinesischen Dienern einem schnell gewunken, der sollte für die Nacht mein Führer sein, und beide sprangen wir jetzt in ein Boot hinein.
Die Perlflußwasser schwangen sich wie Tintentunken, zwei Ruderstangen raffen sie zu langen Falten, und jede Stange wird an jedem Ende vom Boot von einem Kuliweib in Gang gehalten.
Die Kinder dieser Weiber kauern, von Neugier still gehalten, wie die Gestalten kleiner gelber Gnomen, im Kahnzelt drin und lugen durch die Spalten der gelben Bambusmatten.
Wir gleiten vorwärts durch die Schatten der ungeheuren Dschunkenwelt, die hier den Fluß besetzt hält, dicht wie Wanderratten.
Die Bootslaterne sticht sich scharf den Weg hin durch die Nacht, und sie beleuchtet manches Mal, gleichwie aus gelbem Ton gemacht, ein grinsendes Gesicht
Oder die Ballen einer Warenfracht; das ältere Chinesenweib am Kiel gar laut und breit hin in das Wandern aller Schatten spricht und schreit,
Denn oft die Bootswand an ein Boot ankracht; das jüngere Weib am End' von unsrem Boot, das rudert nur und lacht. Der Fluß scheint wie aus schwarzem Lack gemacht.
Fern in der Finsternis gewaltigem Sack stehn groß erhellte Ufer, Laterne bei Latern', manchmal auch reckt sich aus dem Nebel, wie ein Wrack,
Ein geisterhafter weißer Dampferbauch, daran die Dschunke still vorüberfliegt, und Rauch liegt von dem Dampferschlot im Wasser und streckt sich wie ein langer gelber Schlauch.
Durch hundert hell und dunkle Himmel, durch Wasserdunst arbeiten sich die zwei Chinesenfrauen mit viel Geschrei und Kunst,
An vielen Bojen, die da schwimmen, glatt vorbei, und unter Kranen durch und unter den gespannten Tauen von hohen Warenkähnen.
Des Stromes Nebel werden dick wie Brei, die Ruderstangen dieser Frauen streiten mit tausend Dingen, wie Hebel, die mit Lasten ringen,
Die Alte mit den falt'gen Wangen, die raucht von Schweiß und faucht und keucht und scheucht mit wilden Worten an allen finstern Orten rings viel Stimmen auf,
Die hinter Nebelwänden, ganz nah bald und bald fern, vorüberschwimmen. Dann stockt das Ruder in den Händen, mein führender Chinese, welcher totenstill gehockt,
Beginnt jetzt aufzuschauen, die Weiber schreien wie im Streit, kein Ufer rings, nur Nebel weit und breit, sie sagen, daß es Flutzeit ist,
Und daß der Strom jetzt rasend hohe Strudel hißt, und ganz unmöglich sei die Weiterreise, die Strömung führt uns schon im Kreise.
Sie lassen ihre Stangen liegen, sie können auch kein Ruder rühren, der Strom scheint alle Hölzer umzubiegen, und der Chinese und die Frauen in ihren weiten Shirtinghosen,
Sie plappern aufgeregt und unentschlossen, und fremde Schattenboote, die in dem Nebel leben, klappern, als ob sie Zeichen geben;
Und Menschen schreien, die im gleichen Wirbel wie fortgefegt an uns vorüberschweben. Am Kielrand speien Wellen in das Boot,
Und die gehetzten Weiber stechen mit ihren Stangen in die Nebelwand, darinnen Holz und Wasser kracht; und angefeuert von dem Widerstand
Lärmt jede, und ihre Ohnmacht sie beteuert, bis sie dann den Versuch zur Weiterfahrt, heftig und blindlings, wiederum erneuert.
Endlich, da scheuert unsre Kahnwand andrer Kähne Wände, und es erscheinen in den Kähnen Gesichter, Hände; Windlaternen drehen ihre Lichter,
Und durch des Nebels dampfende Gelände jetzt hellschattierte Brände fliegen, und aus dem Nebelrauch entstiegen Barken und tauchen auf mit roten Glasgehäusen,
Mit grün und blauen Prismen in den Türen; Geruch von Teen und Parfümen ist zu spüren, und wie in einem farbigen Bilderbuch entstehen
Und werfen blau und rote Scheine Kantons gefeierte und vielgepriesne Blumenboote. Geleierte Gesänge und Musik
Und mancher schnelle Blick von weißgeschminkten Mädchengruppen fällt wie von Sternenschnuppen in meinen dunkeln Kahn.
Glasrosen runder Türen standen offen, und drinnen saßen mit berühmten Namen die Freudenmädchen, die zum Nachtmahl hier mit ihren Freunden in die Boote kamen.
Es glänzte dort von blauen Seidenstoffen und kupferroten Seidenhosen. Voll mit Glaslampen und mit goldnem Tand, stand Boot an Boot mit farbiger Gläserwand
Und spiegelt in dem Nachtfluß seinen hellen Rand. Dahinter über Bretter fort und Landungsstege erkletter' ich mit dem Chinesen, der mich führt,
Mühsam durchs Sturmgefege den festen Uferboden, umsaust vom Sturmflutwetter. Hier ist es, wo das Stadttheater haust.
Die mächtig hochgezimmerte und breite Halle, die glich mit Riesenbalken und den Dachstuhlbäumen mehr einer Riesentenne und einem finsteren Heubodenstalle.
Als wir gefragt, klagt an dem Eingangstor die Menschenmenge, die dort lungert, die Vorstellung sei wegen hoher Flut heut' abgesagt.
Das Schiff, mit Schauspielern von Hongkong her erwartet, hat sich im Stromnebel verirrt und ist mit allen Mimen wer weiß wohin geschwommen
Und ward vermißt, und niemand weiß, wird's jemals kommen. Und auch die Blumenböte, die nah' mit ihrer Fenstergläser Röte das Ufer hier erhellen,
Durft ich als Fremder hier nicht stören, da sie den reichsten Söhnen aus der Stadt als Eigentum gehören. Und nirgends war jetzt Unterkunft zu finden vor Regen und vor Winden.
Die Kleider fliegen fast vom Leib, und wieder bin ich, von dem Sturm zurückgejagt, ins Boot gestiegen. Ich sitze unterm Mattendach, gleichwie in einer Höhle, nieder
Und bin im Nebel hingetrieben durchs Windgekrach und durch die Heere finsterer Boote, viel Tausende in allen Größen, vorbei an Stämmen und an Flößen,
Fort in das Ungewisse, und jeder Welle Schwere trieb in neue Finsternisse. Die Mastenwälder aus den Barken wie Schattenrisse standen,
Und viele Kiele legten sich ins Quere, bis wir den Weg nicht weiterfanden. Und um uns lagerten in Booten totenstill, an deren Rahen Töpfe, Lumpen, Windeln hingen,
Wie eines Feldzugs wilde Beute, Banden Stromleute, Fischer und Piraten, der ganzen Welt schlimmstes Gesindel,
Die ihren Unterschlupf nur auf dem Wasser fanden. Bleich, atemlos saß mein Chinese in dem Boot, als ob er sich abschloß, vom Leben rings bedroht, wie eine Mumie gelb und tot.
Die Ruderweiber klagten lauter ihre Not. Der Regen triefte über ihre Leiber, manchmal im Finstern schob sich eine Segelwand hervor,
Und ein verwitterter Chinesenkopf hob sich empor, und eine Stimme sang, und eine andre schwor. Wir glitten an der Räuberwelt entlang.
Die Segel standen Zelt bei Zelt, und manchmal hat ein Ruf gegellt, als ward im Nebel einem die Kehle durchgeschnitten.
Wir kamen viele Stunden kaum vom Fleck und saßen überregnet in der Nacht, in ihrem hohlen Raum nur langsam fortgetrieben,
Und Schulter fast an Schulter mit Mördern und mit Dieben. Stockfinster heulend war hier Ort um Ort; der Regennebel fiel aus engen Sieben,
Auf Pfählen standen manches Mal erleuchtete Gehäuse, hoch über schwarzen Bootgedrängen. Und hinter ölgetränkten und bleichpapiernen Scheiben
Sah ich oft Menschenschatten schwarz auf weiß hinschreiben, als ob dort Nachtgespenster sich vor'm Sturm gerettet hatten;
Die Schattenhände fuhren auf, groß wie ein Drachenwurm, und schwanden ohne Spuren.
Ich steckte meine Hände in die Taschen; es war, als haschen sich die Fäuste des Raubgesindels in der Luft, als muß der Fluß wie warmes Blut ums Boot hier waschen.
Ich streifte heimlich meine Ringe ab vom Handgelenk, mein goldnes Uhrgehenk, damit ich all die goldblitzenden Dinge in Sicherheit vor diesen Schatten bringe,
Vor diesen Riesen in der Finsternis, die hier allein die Oberhand noch hatten. Die Barkenwelt, vom Sturme hin und her gerissen,
Schien mir wie eine Räuberburg, unheimlich und mit unergründlichen Verließen. Daß alle Wellen Blut geschluckt schon hatten
Von Hingemordeten und von gerichteten Piraten, das lag hier laulich in der Luft, die war so finster wie das Hirn von einem Schuft.
Mühsam nach Stunden hat sich dann das Boot fort aus dem Bootsgewühl gewunden; die Ebbe kam und löste ab die Flut.
Die Weiber ruderten zurück und haben Kanton bald gefunden. Der Strömung wegen mußte jetzt das Boot weit draußen vor der Stadt anlegen.
Die stille Stadt uns in die Arme nahm, durch finstre Gassen liefen wir uns lahm, die Wächter lassen uns in Dutzenden von Gittertoren ein,
Und meine lauten Stiefel klappern unverfroren und holen meinen Führer kaum noch ein, der auf Filzsohlen lautlos rannte,
Als gab die Nachtfurcht ihm die Sporen. Durch alle Winkel, die ich noch vom Tag vom Sedanstuhl her kannte, mußt ich jetzt durch die Stille eilen,
Und bei geschlossenen Ladenzeilen und an den Häuserwänden begegne ich den Fackelbränden der Wächter,
Geisterbeschwörer, die mit Rasseln und mit Schnarren die Schlafenden vom Alpdruck heilen; und endlich, dankbar meinem Glücke,
Fand ich zurück zur Schamienbrücke, mich freuend, daß nichts Böseres geschehen. Statt dem chinesischen Theaterstücke
Hatt' ich heut' nacht ein großes Schattenschauspiel auf einem Fluß gesehen. In meinem Geiste schwirrt noch Akt um Akt,
Als hatte das Theaterschiff, das sich verirrt, Schauspieler in dem Nebel vor mir ausgepackt, und alles spielte mit den Nebelmienen
Auf Flößen, Kähnen, Blumenbooten, in allen Größen sie bald lachend und bald drohend mir erschienen;
Der Kantonfluß, die Nacht, der Sturm als Text und als Kulisse dienen; mich selbst ergriff das Stück und machte mich zu Haus noch wie von Sinnen.
Ich konnte kaum mit meinem Leben aus dem Theaterstück entrinnen. Verfolgt und wild umgeben von allen Schatten der Piraten,
Von Blumenbooten, Wasserratten und von Chinesenzöpfen, traf ich in dem Hotel, als ich mein Zimmer matt betrat,
Am Bett, wie immer, meine Sehnsucht, die schlimmer noch als ein Pirat; die mir das Blut am Herzen schröpfen tat,
Und niemand konnte sie mir köpfen.

 


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