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Die Erdbebenruinen von San Franzisko

Sechs Wochen waren erst verflossen seit jenem großen Beben und dem Brand.
Wie totgetreten und wie fortgewaschen, mit riesigen, ausgebrannten Steingerüsten am grauen Küstenland die Aschenstätten grüßten. –
Mit Fernrohrgläsern auf des Landes Ränder schauten die Reisenden an Bord, vom Morgen bis zum Mittag, übers Schiffsgeländer.
Sie suchten sich die Stadt, die da gelegen, und fanden kaum noch von der Stadt, der raschen, ein silbriges Gerippe aus Schlacken und aus Aschen. Verschwunden war der Häuser Herde auf allen Wegen,
Als tat aus Blitzen hier ein Besen die Erde von den Häusern sauber fegen. Lautlos und langsam zog mein Dampfer in den Geruch des Todes ein, im Junisonnenschein, im trägen.
Weit lag nur todesstille Trift, wo sich die Zeilen der quadratischen Gassen, zwischen Ruinen, über Meilen, öd, menschenleer und leblos, ziehn.
Darüber in der Luft voll Brandgeruch hing überall noch groß der Schall von einem wilden Fluch. Und wie die Aschen, so sind die Reisenden zerstoben mit Koffern und mit Reisetaschen,
Nachdem der Dampfer, als das einzige Schiff, sich zu der Landung in den großen, leeren Hafen hingeschoben. Kaum ein paar Leute trafen wir am Kai;
Und jeder uns, mit Witzen statt mit Klagen, hier zurief, wir seien seit den Schaudertagen das fünfte Schiff erst, das zur Hafenmauer lief.
Ein einziger Trambahnwagen geht drinnen zwischen Häusern, die am Boden lagen. So weit die Welt dir vor den Augen steht, ist sie mit Steinruinen, grau in grau, besät.
Rostrote Eisenträger, wie die Gedärme wild verdreht, wie ausgerissen einem Magen, in roten Massenbergen rings an den grauen Wegen lagen.
Und in den Straßen ragen, zerrissen wie Papierkulissen, einsame Wände, dreißig Stock oft hoch, und gleichen dunkeln Brettern, flach an den blauen Sommerhimmel angeschlagen
Der mächtige Hotelpalast, in dem ich Rast zu nehmen dachte nach siebzehntägiger Reisehast,
Ist nur ein leeres Riesenmauerwrack, von dem Gespinst geschmolzener Balkone eingefaßt. Und statt der Herrn und Damen, mit Schleppen und im Frack,
Ist drinnen nur die Kohle und der Schutt zu Gast. Der Junihimmel mit der trocknen Glut stand über rauchgeschwärzten Meilen dort mit großer Grelle
Und ohne eine kleinste milde Wolkenzelle. Die großen Firmenschilder, die schon rosten, großer Plakate Bilder sprechen hoch bei des Himmels blauem Fleck
Noch von der Ruhe vor dem Schreck. Sie starrten von den Häuserpfosten wie Traumgedanken ohne Zweck. Ich las das Schild von einem großen Arzt, auf den jetzt keine Kranken warten;
Die Wechselbanken standen leer, und keine Kurse sanken, und keine Kurse stiegen mehr; die Uhren über den Kontoren zeigten mit ihren Zeigern noch die Stunden, da sich hier alle Waren,
Statt sich in Geld rasch zu verwandeln, in Rauch und Flammen unsichtbar verloren. Die Reste dieser Riesenbauten in dieser einzigen Riesenstadt, die standen wie Gerippe großer Ungeheuer,
Dreißig und vierzig Stock hoch im Gemäuer. Auf dem geborstenen Pflaster liegen die Kassenschränke vor den Banken, wie fortgeworfner Kehricht vor den Häusertoren;
Zersprengt vom Dynamit die dicken Eisenplanken von mächtigen Tresoren; und Bogen Wertpapiere fliegen fort vor deinem Schritt, einstige Aktien und Vermögen,
Die ihren Sinn, unter dem Tritt von ein paar bebenden Sekunden, schnell verloren. Auf einem freien Platz hab' ich ein eisern Standbild, das das »Symbol der Arbeit« dargestellt,
Noch unversehrt und aufrecht vorgefunden. Ringsum die Häuser hingefallen und mancher Stadtteil platt vom Erdboden verschwunden;
Nur noch das Eisenmonument der »Arbeit« stand da auf dem granitnen Sockel breit. Vier bronzene Arbeitsmänner, muskelstarke und halbnackte,
Und jeder hakt sich hoch an einem Riesenarme von einer einzigen Hebelstange, und jeder Muskel hat noch zugepackt in heißem Arbeitsdrange.
Die vier, sie hingen in der Luft und drückten auf die Riesen-Hebelzange; und ihre Arbeit war, gleichwie im Überschwange, noch mitten in Ruinen, den zerstückten, im vollen Gange.
Als war die Arbeit hier ein Tanz von Halbverrückten, so hingen diese vier aus schwarzer Bronze an schwarzer Eisenstange bei diesen Straßenfluchten, den zerpflückten,
Und schienen mit dem finstern Hebelriesen, den sie mit letzter Kraft umschlingen, wie mit dem Arbeitsgotte selbst, hier ganz allein in dieser toten Stadt zu ringen. –
Und weiter dring' ich in die Straßen zerfallener Paläste ein, wo auf verbranntem Hügel viel rauchgeschwärzte Gärten saßen: der Milliardäre prunkende Terrassen.
Fünf Tage hier die Feuer fraßen, und wie der Rest vom Glanz, vom Sport und Spiele, liegen vor manchem Gartentor zerknäulte Eisenhaufen, Skelette der geschmolzenen Automobile.
Die Wagen keinen Weg mehr fanden und dann hier Feuer fingen, damals, als unterm großen Beben die Pflastersteine von der Stelle gingen
Und aufgerichtet standen wie die Mauerwälle. Rings in den Parken auf verkohlten Rasen liegen die goldenen Rahmenmassen der Bildergalerien ohne Bilder.
Die Leinwandmalereien haben schnell die Diener vor der Flucht, eh noch das Feuer an das Dach geschritten, mit Scheren aus den Rahmen ausgeschnitten.
Breit von dem Hügel sieht dein Auge weit und immerfort dasselbe Bild auf Meilen; nur leerer Himmel kann des Brandes Wüste mit deinem Auge einsam teilen.
Du stehst wie nach der Menschheit Ende, wie nach dem Untergang von allem Fleische dort. Und hilflos krampfen sich, wie blöde Narren, in deinen Taschen deine Hände.
Und alle Meilen, Ort bei Ort, nur in Ruinen starren, und nur des Himmels Wände, ewig blau und aufrecht, weilen
Und doch nie einen Zuspruch dir erteilen, mit keinem Mitleid diesen baren Schrecken heilen und wie ein blau versiegelt Buch im Schweigen rauh verharren. –
Stoß einen Fluch aus, Fluch dem Himmel, der hier, groß an Gier, dem heißen Raubtier überlegen! Doch horche, kannst du's noch in deinen Lippen dir verbeißen, –
Hörst du nicht dort das Tippen in der Stille, wie einer kleinen Vogelkehle Wippen? Fühlst du dein Herz im Blut von deinem Blute nippen?
»Der große Brand und auch das große Beben,« sagt klug dir dein Verstand, »der Schreck, der hier gehaust mit Wut und scheinbar ohne Zweck,
Er war auch deines Herzens Wille. Das ganze Weltall ist ein Leib und Blut. Das Weltall nichts als aller Herzen Willen, im Schreck und in der Liebe, tut.«

 


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