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Zwei Erdbeben in Yokohama

Draußen vor meinen Hotelfenstern erschienen tagaus, tagein die Ozeandampfer gleich bunten Gespenstern in den Nebelrinnen am Himmelsbogen
Und zogen wie winzige Kähne ins Leere und ließen nach sich die dunkeln langen Linien ihrer Rauchsträhne.
Ich bereitete mich vor auf den Weg in das sechste der Meere. Nur noch eine Nacht stand davor; war die verflogen, dann wurde ich wieder zu einer Dampferfracht
Und sollte siebzehn Tage dulden müssen, daß die Dielen unter meinen Füßen auf und nieder wogen, daß mich morgens, mittags und abends, mich und meine Gedanken,
Nur die Schiffsplanken und drüber der Himmel und darunter das Wasser begrüßen. Als ich die Koffer im Hotel am Abend schloß und sich der Schlaf zu mir gesellte
Und ich am Bett das elektrische Licht abstellte, wußte ich nicht, daß ich Ahnungsloser noch einen besondern japanischen Abschied erleben mußte.
Nach Stunden wachte ich auf, als zerrte mich jemand an jedem Glied. Das ganze Haus rasselte und krachte rings um meinen Verstand,
So daß ich dachte, daß ich mich schon auf dem Meer befand. Es wölbte sich neben meinem Bett, wie ein lebender Körper, die Zimmerwand,
Als ob ein Sturmwind durch die geschlossenen Fenster hereinrauschte und die Tapeten hohl bauschte. Und mir in meinem Bette war, als ob ich eine Schlange verschluckt hätte,
Weil mein Leib sich in Windungen hochwarf und vom Scheitel bis zur Sohle zuckt. »Erdbeben?« fragte mein Gehirn, und das bange Blut sagte:
»Wir müssen uns ergeben.« Meine Füße, aufgejagt, springen unter die Tür, wie nach einem rettenden Ziele, denn ich wußte: viele Türrahmen und Türschwellen halten stand, stürzen Decken und Diele.
Mein Gehirn ruft mir dies noch zu, mitten im Schrecken. Das ganze Haus wankt jetzt wie ein Schiff gebückt und will sich flach niederstrecken;
Dann hebt es sich wieder wie aus einer Kniebeuge, die ihm geglückt. Menschenstimmen schreien aus allen Räumen wie unter Alpdruck und wie mitten aus wahnwitzigen Träumen.
Das Haus muß sich wie ein Pferd bäumen. Die roten Teppiche im Zimmer und die Fußläufer in dem Korridor stoßen dicken Staub aus.
Ich dachte schon, bald ließen sich alle Sterne durch die Zimmerdecke erblicken. Aber dann verlor sich das unterirdische Rollen in der Ferne.
Als wäre mein Bett ein Drache und könnte sich gleich wieder rühren, so vorsichtig saß ich jetzt neben ihm bis zum Morgen auf der Wache
Und konnt' zum Schlafen keinen Schlaf verspüren. Die Japaner, gewohnt an ihr wackelndes Land, sprachen am nächsten Tag so wenig vom nächtlichen Beben,
Wie von einer Fliege an der Hand; und nur die Europäer im Hotel taten noch im Schrecken leben. Ich glaubte schon danach,
Es ist nur ein Traum gewesen und ich stand nur nachtwandelnd wach unter der Türe. Und ich ging umher und wußte bald nicht mehr, ob ich mir glauben durfte in dem, was ich spüre.
Ich tat mich schon vor den Japanern schämen, daß sie so stark sind und keiner beim Erdbeben erwacht,
Während ich jetzt noch alles kreuz und quer sah nach dieser Nacht. Ich ließ mir meine Rechnung geben und stand eben im Treppensaale vor dem langen Kassentisch, wo ich das Gold hinzahle, –
Da betrachtet mich mit einem Male der japanische Kassier und ist wie eine Leiche, eine fahle; wie einer, den man frisch geschlachtet hatte,
Stand er ohne Blut, totengrün, hinter der Tischplatte. Ich entdeckte nicht gleich, warum mein Geld ihn so erschreckte. Er aber deutet bloß zur eichenen Zimmerdecke,
Die sich über uns mit einem Riß groß aufreckte. Und der Japaner sagte blaß und tonlos: »Das war ein schrecklicher Erdbebenstoß, –
Einer der gefürchtetsten, weil er senkrecht vom Boden hochschoß.« Ich glaubte, ich verstehe ihn schlecht. Da stürzen von der Hotelterrasse zwei blasse Amerikaner herein.
Sie, die aus San Franzisko vor dem Erdbeben, vor Wochen schon, nach Japan entflohn, riefen beide mit einem Ton: »Kein Erdbebenstoß in Frisko ging an jenem unheimlichen Morgen so ins Mark
Wie dieser Stoß eben. Das ganze San Franzisko-Erdbeben war dagegen ein Zwerg bloß.« – Ich stand erstaunt und wie vor mir selbst gerührt, – ich hatte von diesem Beben nichts gespürt;
Denn meine Gedanken hatten mich eben schon über den Stillen Ozean meinem Heimweh nachgeführt. Ich war schon im Geist auf dem Ozeanschiff,
Von wo mich erst die Stimme des Japaners wieder zurückrief.
Wie weit von sich kann doch der Mensch fortleben und fühlt nicht die Erde dabei wanken. Will die Sehnsucht ihn nicht freigeben,
Kann er sterben und nicht mal den Tod erleben.

 


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