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Die Kulibajadere

Der erste Takt

Es sprießt ein Zauber aus dem ärmsten Weib, das sich im Tanze einmal ganz vergißt
Und seine Schritte sauber nach dem Takt bemißt
Und seinen Leib, befreit von aller List, unter die Götter reiht,
Von einem Taumel angepackt und von der Leidenschaftlichkeit, die Öl ins Feuer gießt,
So daß die Zeit weit in Unendlichkeit vor ihr zerfließt.

 

In blauen, vielzerschlissenen Kattun gewickelt, und in zerrissenen grauen Leinenfetzen
Wie eine Vogelscheuche anzuschauen, zum Entsetzen,
Trat auf die Bühne hin, das Angesicht vermummt,
Die indische Tänzerin.

 

Vier Musikanten standen hinter ihr, und sie begannen
Mit Metallgeklirr, als müßten sie die bösen Geister bannen,
Und haben näselnd vor sich hin, wie irr, gesummt.
Ein Gong und Trommeln schlugen an und haben mitgebrummt,
Die Tänzerin in ihren grauen und den blauen Lumpen blieb vermummt, tat sich nicht rühren.
Sie wartete, als müßte sie all die Musik, die klingend klang wie Glöckchen an den Ziegen,
Und die, wie große Sommerfliegen, heiß gesummt,
In den Gelenken erst als Zucken spüren,
Als dürfte sie sich nicht zu früh dem Tanz verschenken.

 

Eng eingewickelt blieb sie stehen eine Weile, nur feine Bronzefüße ließ sie sehen.
Die Knöchel und die Zehen waren dünn, wie zart geglättet von der feinsten Feile,
Nur auf der dicken Schnur der Silberschellen um ihre Füße
Und auch von hellen Ringen an den Zehen
Tanzte ein Funkeln.
Die Arme hielt sie übers Haupt gestellt.
Durch manchen Schlitz und manches Loch in dem Kattun sah man die braune Haut,
Doch sonst ward nur vom Leib das Klingeln ihrer Silberketten laut.
Sonst blieb das Weib, das zarte, das mit dem Tanz noch sparte, hochaufgestreckt
Unter den Lumpen trüb versteckt.
Dann aber kochte die Musik, die schneller auf den Gong und auf die Trommeln pochte,
Ein dumpfer Laut, der in der Luft wie eine angeschlagene Saite stehen blieb,
Trieb endlich leis' die Tänzerin zur Mitte in der Musikanten Kreis.
Nicht länger sie die Ruh' mehr halten mochte.
Wie an dem Dochte eine Flamm' im Nu erwacht, vom Luftzug hin und her gewiegt
Und angefacht Anstrengung zum Entfliehen macht,
So hat die Eingehüllte plötzlich aufgelacht.
Sie biegt die Hüfte, läßt die Schleier wehen, doch stehen noch die Knöchel still,
Die Glieder, die sich unter Lumpen nach Rhythmus und Erlösung sehnen,
Beginnen unmerkbar zu zittern und sich vom Boden fortzudehnen.

 

Dann rasselt's fein, die Schellen erst allein, die Füße stellen sich zum Tanze ein,
Doch ist die ganze schweigende Gestalt verhüllt noch,
Und nur der Lumpen, der sich enger um sie legt und der sie grau beschreibt,
Zeigt an den atemlosen Brüsten, wie sehr erregt die Frau,
Die immer noch auf einem Flecke, bewegt von Gong und Trommeln, stehen bleibt.
Als hätte ich Jahrhunderte zurückgelegt, endlos die Zeit mich schier verwunderte,
Die breit und langsam tat wie 's Wachstum einer Pflanze,
Und die sich vorbereitet hat nur zu dem ersten Takt von einem Tanze.

 


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