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Japanische Allgemeinheiten

Wie unter einem Brennglase betrachtet, lag die Kaistraße von Nagasaki scharfsonnig und luftig mit ein paar Gärten und Gasthäusern,
Im Äußern scheinbar von europäischem Stil, denn erst vom Hafen fort hinein in die Stadt das japanische Ziegeldächermeer an Europas Stelle trat.
Auf jede Tür legt sich ein Ziegeldach, auf jede Mauer ein Ziegeldach, ein Ziegeldach trägt jedes Gesims. Unter prächtigem Falzziegeldache
Verschwindet fast immer das ganze Gebäude mit seinem einzigen Gemache, jedes Dach streckt seine schützende Kappe wuchtig und breit aus.
Das Ziegeldach läuft allen Bewegungen der Gebäulichkeiten nach, und mit vielen kurzen und kleinen Dächern umschachtelt sich ein jegliches japanisches Haus.
Das dicke Dach will die größte Wichtigkeit sein, wie die Frisur einer Frau, wie der Himmel am Weltbau; es ist von behäbiger Dichtigkeit und tritt, das Haus breit beschützend, ins Auge springend zur Schau.
Es ist des japanischen Hauses einziger äußerer, gewaltiger Schmuck. Wie der behäbige Deckel auf einer Truhe behauptet es sich bei Tempel und Hütte mit Nachdruck.
Die Leere in einem japanischen Gemach will dir zuerst nicht recht in den Sinn. Siehst du über die Warenberge in alle die offenen Häuser hin,
So bemerkst du kein Stück Möbel darin. Die auf den Matten am Boden kauernden Menschen allein bilden drinnen des Hauses ausdauernden vornehmsten Schmuck.
Der Menschen sinnendes Gesicht, ihre Worte und Reden und die Gesten ihrer Hände werden deutlicher in der Umrahmung der leeren papiernen Wände.
Durch das weiße Papier der Tag nur gedämpft hereinbricht, und faltenlos erscheint hier das Alter in diesem milden, versöhnlichen Fensterlicht.
Die Dielen sind nicht Brett und nicht Stein im Gemache, sind federnde, zolldicke Bambusmatten. Die ganze Diele will dein Bett, dein Sofa, dein Tisch, dein Sessel und Lager zum Ausruhen sein.
Unter jedem Dache bleibt hier in Japan der Mensch allein die einzige Hauptsache. Und mehr Bedeutung erhält im japanischen Zimmer an die Papierwand dein Schatten hingestellt,
Als jemals unter europäischem Dache der ganze Mensch im möblierten Gemache. Und nur zu aller Zeit eine kleine, winzige Sache
Dem Menschen im leeren japanischen Haus das Gleichgewicht an Wichtigkeit hält. Das ist die Nische, wo eine einzige Bronzevase mit einem einzigen Blütenzweig
Kaum auffällig ins Auge fällt, dahinter ein einziges Bild an der Wand und ein geschrieben Gedicht ein paar Verse spricht
Und in der Leere des Zimmers künstlerische Gesellschaft mit den Seelen der Menschen hält. Ein Künstler also oder ein Dichter noch immer mit dir spricht,
Wenn sonst nichts im leeren japanischen Zimmer kriecht, als der Sonne zärtliche Lichter. Menschen verschwinden hier nicht unter den toten Dingen,
Unter leblosen Teppichen, Tapeten und Möbelgestalten, die ihren Starrkrampf mitbringen, die mit brutalen Linien und Farbengewalten
Oft den Blick zum Einfachsten aufhalten, und die dich wie verstaubte Leichname umschlingen, und die oft den Druck einer ewigen Bürde dir aufzwingen.
Einfach wie der Sonnenlauf ist das Leben unterm japanischen Dach. Abends rollen des Japaners Hände den seidenen Schlafsack auf,
Und der Hausherr schließt seine papiernen Rahmenwände, durch die der Mond sanft wie durch weiße Eierschalen hereinfließt.
Jeder Napf, jede Teeschale ist winzig im Hausrat, leicht und ohne Beschwer; die Lackgeräte sanft und spiegelglatt; lautlos und elastisch die Bambusmatte;
Kühl und warm zugleich Seidenkleid und wattierter Seidenpfühl. Alle die zarten Dinge drücken nicht nieder mit Gewicht des Japaners Glieder und Gefühl.
Und die Schlafrocktrachten, die weiten, hindern nicht seine Arme, die emsig arbeiten und seine Gedanken, die zu Zeiten, wie die Sonne hinträumend, sich in Unendlichkeit ausbreiten.
Seiner Gedanken liebenswürdigste Wege sich und den Nachbarn im Zimmer zu zeigen, schmückt der Japaner in der Nische immer die Vase mit ein paar grünen Zweigen,
Mit der Jahreszeiten Lieblichkeiten. Er wechselt auch das Bild an der Wand, das ist auf Papier oder Seide gemalt, oft hunderte Jahre wertvoll und alt;
Und er hängt öfters ein neues Gedicht sich hin, je nach der Zeiten, Feste und Tage wechselndem Sinn. Ach, wie fühlte mein Auge sich ausruhn in den offenen, leeren Zimmern,
Wo die Menschen, nicht beschwert von Stiefeln und Schuhen, auf weißen Seidenstrümpfen lautlos wie ihr eigener Besuch umgehen,
Still bei ihren Gedanken wie Schatten hinter den hellen Papierwänden stehen und bei ihren immer fleißigen Händen!
Durch irgendeine geöffnete Papierwand schaut vertraut in den Zimmerrahmen ein Stück Straße oder grünes Land. Diese Aussicht wird im leeren, möbellosen Raume zur Wichtigkeit.
Das kleinste Blatt am entferntesten Baume verliert seine Nichtigkeit. Jeder Käfer, jede Maus sieht, umrahmt von leeren Wänden, im japanischen Haus kameradschaftlich aus.
Denn das Leben von draußen gesellt sich gefällig zu dem, der von Leere umgeben. Und die Landschaft im Fensterrahmen wird Kamerad.
Der Japaner lebt Sommer und Winter mit ihr eng in Familie zusammen. Und wie wir im Stalle Kaninchen, die zahmen, betrachten, locken alle Japaner die Wolkenbrocken,
Die Schneeflocken und der Regen, kommt er geschwommen; als ob alle Jahreszeiten nur zur Unterhaltung für ihn an seine leeren Wände kommen.
Und als ob ihm alle ihre Leidenschaften auskramen, betrachtet er die Landschaften, die weiten, denn er selbst kennt von seinem Ich nur den Namen. Er fühlt mehr, als er sich fühlt, das All; ihm ist,
Als tragen alle Dinge von seinem Herzklopfen mehr als sein eigen Herz einen Widerhall. –
Als ich mich noch am Schiffsbord fand, hörte ich am letzten Morgen den Kapitän ernst sagen, als das Schiff vor Nagasaki stand:
»In diesem Land hört niemand ein Kind je schreien und niemand ein Tier je klagen. Kein Erwachsener wird ein Tier oder gar sein Kind hier schlagen.
Sie verstehen, daß Tier und Kind noch beide mit dem Menschenleben unwissend sind und nach dem Lebensweg fragen.
Warum sollte man ohrfeigen den, dessen Unwissenheit dich stumm bittet, ihm Zeit und Weg zu zeigen?« –
Und dann am Land sah ich mich um und überall ich diese Wahrheit fand. Mensch, Pflanze, Kind und Tier in diesem Land, alles sich schier wie eine einzige Familie nahe stand.
Doch nicht bloß schaut ins Zimmer das grüne Land hinein zur offnen Papierwand, auch bei geschlossenen Wänden prägen sich in dein Auge
Baum, Blume, Käfer aus Goldlack und auf Porzellan ein, und nicht die kleinste Teeschale läßt dich ohne ein winziges Weltbild sein.
Auf den Kleidern der Kinder und Damen regen sich Wellen, Blumen, Mondschein gewebt dir entgegen. Nicht nur in ein Stoffstück unbelebt hüllt der Kleidersaum die Menschen ein.
Sie gehen umher alle gehüllt in ein Stücklein Landschaftsraum. Auf das Kleid gewebt ein Schwalbenheer, ein Zug Fische, eine fliegende Weihe über einer Wolkenreihe an dir vorüberschwebt;
Und über das Pflanzen- und Tierbild sich das Menschengesicht wie ein Gestirn licht erhebt; es sind das Kleid und der ganze Leib belebt
Von freundlichen Bildern aus farbigem Gehirn; und mild, wie eine Papierlaterne, leuchtet über den schwarzen Augenbrauen die japanische Stirn,
Und blitzend schauen und sitzen, wie schwarze Diamanten, die japanischen Augensterne, die sich in die Nähe und in die Ferne, in das Kleinste und in das Größte ritzen.

 


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