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Tempelekel

Die Luft der vielen dämmernden Tempelräume, die ich in Kioto eingeatmet, Rauch der Essenzen, Lackduft und Geruch alter Balkenbäume und Bronzen,
Die Totenstille verzückter tausendjähriger Gebetsräume, die Nähe lautlos wandernder kahlrasierter Bonzen
Und in Heeren die goldschweren Lotosblumen und Göttergestalten ringsum auf der halben Erde in fünf Meeren,
Alles das gab meinem Leib, der sich den Heiligtümern vertraut, eine übersinnliche, zweite Haut, die hat mit den Poren mehr als mit den Augen alles geschaut.
Als hätte ich den Weg um die Erde verloren, sah ich bald mit geschlossenen Augen immer nur goldgefärbte Göttergesichter auf Emporen,
Götterhände, die jeden Schritt führen und unter dunkeln Türen Weihrauchwolken und Lichter beschworen.
Ich sah die ganze Welt bald auf Wolken schweben über Weihrauchstangen, wie die Gesichter der Götter leben;
Als müßten vor der gesättigten Lust der Götter auch in meiner Brust meine Adern verdorren, wie einem Heiligen vom Fasten im leeren Wüstenwust.
Ich sah Wirkliches und Unwirkliches durch Heiligenscheine verworren, als sollte ich im Nirwana bald für ewig rasten,
Als paßten meine Füße kaum mehr zu der Welträder Hasten und in die Sekunden. Denn die Straßen mit ihren Lasten, der Handel, der Alltag
Nur noch als ein Schatten veralteter Daseinsstunden vor mir am Weg lag. Mein Kopf erschien mir Ewigkeiten alt
Und war wie eine gewaltige Mühle, die nur für die Götter mahlt. Nur manchmal sah ich aus dem Tempelgewühle
Meiner Liebsten göttlich' Gesicht in der Ferne und manchmal abends erschien sie mir beim ersten Sterne,
Als suchte sie mein Herz auf Erden mit einer Laterne. Und eines Abends hat mich ein Grauen vor den Göttern erfaßt,
Die mich Einsamen störten bei meiner Liebsten Anschauen, und ich habe alle Tempel schon von weitem gehaßt;
Und sah ich jetzt in Kioto eine offene Tempelkammer, ergriff mich Tempelekel und Tempelkatzenjammer.

 


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