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Um Mitternacht in Mandalay

Einstöckige Häuser, einfach, klein, hat die Stadt Mandalay und Bambushütten
Und dahinter dichten Palmenhain.
Auf breiter, öder Straße ging ich an einem Abend vom Hotel im Dunkel in die Stadt hinein.
Da hört' ich von Hufschlägen Lärm. Ein scheues Pferd kam losgerissen mir entgegen.
Ich mußte mich mit meinem Rücken schnell an des nächsten Hauses Mauer legen
Und fühlte in der Dunkelheit die Pferdehufe dicht mir am Gesicht hinfegen.
Nur einzelne Laternen standen in großen Zwischenräumen weit und gaben wenig Licht.
Und um mich tanzte wild das Pferd mit Hexensprüngen,
Als wollt' es mich zur Umkehr bringen und mich zum Rückweg ins Hotel heimzwingen.
Stets, wenn ich vorwärts wollte, tollte es quer zur Straße her,
Endlich erschien auch ein birmanischer Mann, der wie ein Schatten lautlos das große Pferd einholte,
Mit dem es plötzlich wie gezähmt friedlich am Zügel weiter trollte.
Ich hätte mich geschämt, vor einem wilden Pferde umzukehren,
Hätt' ich auch nur an Angst gedacht. So aber ging ich ahnungslos die Straße weiter in die Nacht.
In mancher Gasse war ein Feuerschein; da saßen die Birmanen vor den Türen bei Würfelspiel und Plauderein.
Garküchen kochten und Laternen brannten mit öligen und rauchigen Dochten.
Ich sah auch im Vorübergehen durch offene Tore, offene Türen
In Zimmer mit gedrehten und gezierten Betten.
Nicht einer sah sich nach mir um, und vor den Türen saß man spielend stumm im Kreise;
Halbleise sprechen alle Orientalen, wenn um sie Abenddunkel ist,
Keiner die Ehrfurcht vor der Nacht, auch bei der Lampe nicht, vergißt.
So ging ich ein paar Stunden bis Mitternacht vorbei an Magazinen, am Markt und durch die Gassenrunden
Und wurde manchmal angelacht von Dirnen auf den Treppen
Und angeredet auch von zwei Birmanen; die wollten mich zu ihren Damen schleppen.
Der eine zeigte mir in einem Sack wohl hundert Hühnereier, auserlesen,
Die nahm der junge Freier als Nahrung für die Nacht zu seinem Mädchen mit.
Ich habe nur gelacht, und keiner hat behelligt meinen Schritt mit weiteren Fragen,
Als ich die Einladung ganz höflich abgeschlagen.
Mit mir alleingelassen, war ich der letzte bald auf allen Straßen
Und wollte zum Hotel heimgehen. Da sah ich, groß, ein Haustor offen stehen
Und drinnen war im Erdgeschoß ein Feuer auf dem Herde,
Gesichter auch von einer Frau und einem Kinde nah der Erde.
Ich sah nur grau undeutlich diesen Raum und stoppte kaum die Schritte –
Plötzlich verdunkelt sich die Mitte von jenem hellen Tor.
Mit wilden Gesten springt halb nackt ein riesiger Mann voll Wut hervor,
Zwei Schüsse knallen, Kugeln pfeifen, und Kugeln streifen meinen Hut.
Ich glaubte erst, daß in dem Haus ein Streit entstanden,
Bis meine Augen plötzlich sich dem wutentstellten Angesicht des wilden Menschen gegenüberfanden.
Der ficht mit rauchender Pistole in der Luft, als ob er alles rings um sich zerbricht,
Und ruft, birmanische Sätze heulend, und steht vor mir mit dem verzerrtesten Gesicht,
Gleichwie ein Flammenkreisel, der wild nach allen Seiten mit Feuerarmen und mit Feuerzungen sticht.
Und ich begriff jetzt, daß die tollen Pistolenschüsse, Wut und Schelten mir gelten sollen.
Steh wie vom Schrecken hingepflanzt vor diesem Wütenden, der noch im Pulverrauche tanzt.
Ich halte fest den Blick mit meinem Blick und geh dann rückwärts wie in einem Raubtierkäfig Stück um Stück,
Bewußt in meinem Herz, daß wenn ich den, der wuterhitzt, im Bann nicht halten kann,
Fällt mich der Mann schnell mit dem Messer an, das in der andern Hand ihm blitzt,
Und das mir dann den Leib aufschlitzt und mir im Blut für immer sitzt.
Im Feuerschein, der von dem Haustor auf die Straßenmitte fällt,
Sind beide wir, vom Licht umrissen, grell hingestellt und starren, Welt in Welt, uns eine Weile an.
Da hör' ich hinter mir aus einer Nebenstraße schnell ein Gespann. Und eine Droschke kommt heran,
Sie fährt hinaus zur Bahn, wo mein Hotel gelegen. Ich fühle wieder Boden und Erde rings auf allen Wegen;
Die Droschke biegt jetzt um die Häuserecke. Ich gehe rückwärts eine Strecke.
Der Wilde läßt mich gehen. Ich ruf' dem Kutscher zu. Doch dieser hört nicht, bleibt nicht stehen.
Ich fühle jetzt, es ist um mich geschehen, bleib' ich zum zweitenmal allein mit dem Birmanen.
Ich schreie auf den Kutscher ein. Der springt vom Bock. Doch ist er ängstlich vor dem Pulverrauch gewesen,
Vielleicht mischt er nicht gern in einen Streit sich ein; der Kutscher macht sich plötzlich klein,
Kriecht wie in ein Versteck unter die Vorderräder und fährt nicht mehr vom Fleck.
Ich faß ihn, zieh' ihn vor, bring' ihn zum Bock empor. Er zittert wie im Winde eine Feder.
Ich drück' ihm in die Hand das Zügelleder. Allmählich erst kriegt er Verstand.
Er fährt jetzt an, ich springe in den Wagenkasten. Der hat ein offen Fenster in der Hinterwand.
Kaum fährt jetzt das Gespann, so rennt auch der Birmane schon von neuem zu mir rasch heran,
Als ob er jedes Rad aufhalten kann. Ich leg' die Hand an die Revolvertasche und sehe auf ihn unverwandt.
Er rennt mit Schrein noch eine Weile hinter dem Wagen drein, bis seine Beine ihn nicht länger tragen. –
Am andern Tag erzählt man mir: einzelne Europäer hier in Birma leicht verschwinden.
Manche Birmanen können den Krieg mit England heut' noch nicht vergessen.
Daß man den König fortgejagt aus Mandalay, der da Jahrtausende in Unantastbarkeit gesessen,
Daß man ihn, arg vermessen, aus seinem Schloß vertrieben, das hallt noch manchem in den Ohren,
Der in dem Kriege Gut, die Eltern oder Söhne gar verloren.
Und solche stehn in heller Wut, wenn sie von fern nur einen Europäer sehen.
Sie packen gern ihn nachts wie Wilde an, mit einem Messer lang und scharf, gleich einem Jatagan.
Sie trennen rasch den Kopf vom Rumpf, verscharren schnell den Leichenstumpf,
Fassen in Gold die Schädelschalen, die runden, und lassen sich drin Milch und Reiswein und ihre süße Rache munden.
Kein Haar wird von Verschollenen je aufgefunden. Fällt ein Birmane einen Fremden an,
Und wird um Mitternacht geschossen, bleiben die Nachbarn in den Häusern eingeschlossen,
Und selten einem Europäer die Flucht dann vor birmanischer Wut gelingt. –
Am nächsten Tag erst, als die Tropensonne auf allen Straßen und auf jedem Dache wieder deutlich lag,
Wurde mir über alle Maßen klar, wie ich entkommen, ohne es zu fassen,
Um Mitternacht der tödlichsten Gefahr und auch vielleicht der Kobra Rache.
Als ich am nächsten Abend in der Sternenhelle zu einer Landungsstelle kam am Irawaddystrom,
Wo ich den Dampfer jetzt zurück, stromabwärts, nach Rangoon hin nahm,
Erreichte mich ein Telegramm, das mir wie Balsam war.
Es sagte mir, die Liebe sieht durch Nacht und Meilen klar.
Die Liebste wußte es bestimmt, es droht mir Tod. Voll Unruh' jede Nacht ihr Träumen war.
Doch ihrer Liebe Geist hat mich bewacht. Birmanischen Pulvers Wut ging nur durch meinen Hut.
Ich las das Telegramm, das weit her zu mir kam, und wußte: Liebe hatte mich gefeit.
Von Liebenden ist keiner je, vom andern fern, in der Gefahr.
Ein Schutz auch rund noch um die halbe Erde war.
Mein Kopf wär' jetzt ein Becher nur gewesen, gefüllt mit Rachewein zum Rand,
Hätte der Liebsten ferne Hand nicht abgelenkt die Kugeln des Birmanen.
Ich läge jetzt für immer in dem alten Klosterland, zu Blut zerhaun, mein Auge tot im Sand,
Die Knochen von birmanischer Sonne bald gebleicht,
Und hätte hier das End' der Erde schon geschaut und nicht den Mund der Liebsten mehr erreicht.

 


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