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Im Kaiserpalast zu Kioto

Wie ein Kirchhof totenstill ist die Kiotostadt, die weder Pferde noch Lastwagen hat, und nur der hölzerne Laut vieler Holzschuhe geht über die Erde;
Die Rikschamänner barfuß laufen, und nur dünnen Lärm macht der knatternde Rikschawagen.
In den Budenstraßen, die schmucklos sich dehnen, saßen hinter den Waren Verkäufer an Rechenmaschinen, zählen und gähnen,
Kleine Trupps Menschen trollen gelassen, fassen Waren an, feilschen und wählen; eintönig ist das Bild der Handwerkerstraße.
Hinter den gelblichen Budenmassen öffnet sich mein Weg, es treten Bäume und lange weiße Mauern hervor, ein graugrüner Rasenstreif',
Und mein Rikscha hält an der endlosen ziegelbedeckten Mauer, vor einem einfachen ziegelbedeckten Tor.
Siehst du empor, sehen nur Kieferkronen über die schneeweiße Mauer hervor, und du ahnst nicht, daß hinter dem schlicht weißen Tor
Die Kaiser von Japan seit Jahrhunderten wohnen; hinter dem Torriegel beginnen überweltliche Zonen.
Der Kaiserpalast liegt von der unendlichen weißen Gartenmauer eingefaßt; keine Dachlast und kein Turm,
Nur Baumland schaut über den dunklen Ziegelrand der langen, schneeweißen Wand. Wie der Zaun von einem Gehöft, aber ungeheuer, betrachtet dich das weiße Gemäuer.
Einige Torbeamte öffnen im Tor ein Türlein, und ich trete ein. Unter einem Kaiserpalast versteht man in Europa einen schöngemauerten Berg aus Stein,
Der Marmorsäle einfaßt, Granitkorridore und ein hohes, hallendes Treppenhaus. Aber hier im weißgepflasterten Hof
Sah ich als Schloß nur ein Erdgeschoß aus braunen Hölzern, Holzpfeilern, Holztüren, darauf ein Ziegeldach schwerschützend gestülpt;
Und nur das Dach, nicht das Schloß war groß. Zur ebenen Erde folgte sich drinnen ein Holzgemach nach dem andern,
Als müßte die Leere hier wandern; einfache Holzkammern mit Goldpapierwänden waren die Säle.
Die Korridore, die die Säle verbanden, alle mit weißen Papierscheiben, die keine Aussicht fanden und wie ungeheure helle Schränke dastanden.
Nicht ein Spiegel und kein Kamin, kein Vorhang, kein Teppich, von Tapeten keine Spur, nicht Leuchter, nicht Uhr, nicht Türsims, nicht Bogenfenster,
Keine Statuen und nicht Stukkatur; nur Bildergespenster wohnten stolz in den Wandbalkenrahmen von gedunkeltem, rötlichem Rohholz.
Gemalt auf Goldpapier, schier in übernatürlicher Größe, kamen mir aus der Dämmerung, als könnten sie sich lebendig bewegen, dunkelgrün gewaltige Baumwipfel entgegen,
Als wüchsen sie hier seit jahrhundertjähriger Zeit in dem Schloß, und sind die Ältesten bei des Kaisers Festen.
Staunend sah ich ihre rötlichen Rinden mit ungeschlachten Gesten sich über gedunkelten Goldpapiergrund bis an das Dachgebälk winden.
Jede Wand war ein Bilderrahmen, und immer stellten sich vier der Riesenbaumbilder zu einem Gemach zusammen. Das Dach darüber aus gedunkelten Rohholzbalken,
Und darunter am Boden aus geflochtenem Binsenstroh dicke Matten, flach in die Diele eingelassen; sie gaben federnd und lautlos den Schritten nach.
Manchmal in einem Gemach wild ein Tiger, goldgelb auf das Gold gemalt, wie ein Wächter, der zum Aufsprung wach.
In einem andern Saal waren mächtige Kronengestalten von lebensgroßen uralten Eichen, die keinem Sturmwind weichen.
Diese gemalten Baumriesen ließen niemals die Wurzel sehen, sondern jeder stand, mit der Krone am Fußbodenrand, über die Höhe der Wand.
Wenn der Kaiser auf seinem Kissen in diesem Gemach lag, waren die Goldkartonwände um ihn wie ein gelber, gedämpfter Hochsommertag.
Er sah von der Welt nicht mehr den Boden, nicht die Felder, sondern die Gipfel der dunkelgrünen Wälder, vom Gold umspielt; als ob der Kaiser hoch über seinen Reichen,
Hoch über den Kronenwipfeln der ältesten Eichen wie ein Adler einsam ernst Umschau hielt. Und als könnte niemand als die Adler allein
Dem Kaiser und seinen Gedanken Gesellschafter sein, fand ich im Thronsaal, wie lebend gemalt, an jeder Wand eines Adlers hartnäckig mächtige Gestalt;
Den hakigen Kopf in die Schultern gedrückt, hockend im Eichengeäst wie die irdische Allmacht, die den Kaiser niemals verläßt.
In manchem Gemach warf mancher gemalte Eichenbaum seinen Riesenzweig bis hoch unters Dach, ein anderer schräg, wie vom Sturm verbogen,
Warf sich seitlich gleich einem stürzenden Turm und ist wie ein großer, markiger Arm rund um den Saal durch vier Goldwände gezogen.
Überall stand die Gewalt der wachsenden Baumriesen, wie das Kaiserhaus tausende Jahre alt, und manchmal ein Adler, angekrallt mit seiner regungslosen Machtgestalt auf papiernen Goldgrund gemalt.
Und der einzige Baum, der beflissen in einem Gemach um die vier Wände ging, war wie vom Sturm herumgerissen
Und stand dort, als wurde er zum gekrümmten Wurm unter des Kaisers Wort. Es war todstill, doch du glaubtest, die Eichblätter müßten knirschen
Und die unwirschen Astknochen sich regen und die gigantischen Zweige im Herbst verdorren und im Abendwirbel quer durchs Gemach hinfegen.
Manch lebensgroßer gebückter Adler, in sich verbissen, sah dir herrisch nach, als wühlte sein gezückter Blick in deinen Eingeweiden nach deiner Ehre und deinem Gewissen.
In diesen Balkenkammern waren auch dunkle, getriebene Bronzemassen als Klammern in die Winkel eingelassen, darauf sich getriebene Bilder von Laubwerk, Drachen und Wolken fanden.
All diese Zimmer zur ebenen Erde standen im Halbdämmer von großen, weißen Ölpapierscheiben, als lebten sie im Zeitlosen ohne bestimmten Stundenschimmer. –
Ein Zimmer, in welchem Gedichte gelesen werden und Dramen vor dem Kaiser und den kaiserlichen Damen,
Das zeigt auf weißem Grunde mächtige, wagerechte, tiefblaue Streifen, damit sich der Blick ins Unendliche versenke und zuhörende Augen in die Ferne schweifen,
In himmelblaue Ausblicke durch weiße Wolkenbänke. In dieser Leere des liniierten blauweißen Zimmers, wo die geschmückten Menschen wie Wolken im Himmel zusammenkamen,
Standen im Geist vor mir die Augen der kaiserlichen Damen, die ihre Wimpern kaum aufschlugen und vom Dichter die Worte wie Wolken voll Mondlichter forttrugen. –
Im Schlafraum des Kaisers sind die Wände bemalt mit langen Bambusrohren, und im gelben Gehölz der Bambusstangen, wo Baum schlank bei Baum,
Liegen mächtige Tiger im Tau, grau, gekauert, die den Schlaf des Sohnes der Sonne bewachen;
Und die Dschungelluft ist vom Atem der dampfenden Tigerrachen durchschauert. Und jeder, der hier dem schlafenden Kaiser naht,
Fühlt sich mehr und heftiger von den Augen gemalter Tiger als von den besten Wachen belauert; denn oft trat die Gewalt eines Bildes dir stärker nah und tat dir mehr Harm
Als ein bewaffneter Arm. Du bist bei geschlossenen Augen oft mit Gewalt noch verfolgt von eines Bildes Gestalt;
Oft macht dich eines Bildes Anblick wie das Leben warm, und ein geliebtes Bild, das dich senkrecht ins Herz traf, behütet dich auch noch als Wächter im Schlaf. –
Im Schloß folgen sich Zimmer für die Prinzessinnen mit Heeren von weißen Chrysanthemen auf Silbergrund;
Zimmer, wo die jungen Mädchen sich die Stille der Blumen anlehren und sich nur auf weiße Blumen besinnen zu jeder Stund'.
Denn küßte ihre Mädchenlippen noch nie ein blutroter Mund, so ist ihr Leben hinter papierweißen Scheiben nur ein Blumentreiben, vom Nebelsilber umgeben. –
Ein Raum war bemalt voll mit Wildgänsen lebensgroß, von blendenden Gänsen an allen Wänden, grau und weiß ein Troß;
Manche, aufgescheucht, zogen zum Himmelssaum. Ein anderer Raum war genannt: der Saal der kühlen Luft, wo die Kaiserin Gäste zum Tee in den Sommermonden zu sich ruft.
Schneebilder zeigen hier silbriges Eis auf Bambuszweigen, alle Wände silberweiß, Landschaft bei Landschaft begraben im Schneegelände.
Winter steht hier vor der Kaiserin Blick, indes es draußen August ist und augustheiß.
Gemach bei Gemach hat einen andern Kunsttraum dem Kaiserauge aufgeschlossen, und Wirklichkeit darinnen waren nur die Diele und das Dach,
Aber alle Wände gingen der Unendlichkeit nach. Durch dieses Schloß zog dein Geist, wie die Wolke im Blauen dahinreist,
Und dein Auge die Wände alle durchflog, denn möbellos waren alle Rahmenräume, und nur des Kaisers und des Künstlers Seele war hier groß,
Und nichts Wirkliches störte dich hier in diesem Palast ohne Gegenstände.
Du warst hier der Ewigkeit Gast,
Hielten deine Hände zwei liebende Hände.

 


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