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Die fünftausend Mädchen im Yoshiwara in Tokio

Ob fünftausend Mädchen mir die Einsamkeit vergehen machen können, wenn die Augen nicht die eine, die ferne Liebste, sehen, –
Dieses fragt' ich mich in dem Vollmondscheine und ließ mich dann, noch in der Nacht, der klaren, die für mich nur dunkle Zeit hieß, schnell als Rikschafracht nach dem Yoshiwara fahren.
Yoshiwara ist der Liebesmarkt, ist ein Stadtteil, abgeschlossen von den andern, wohin Männer abends liebesgeil zu fünftausend Mädchen wandern.
Durch die großen Tokioviertel, bald durch breite Straßen tageshell, wo die Häuser, wie voll goldnen Bienen, voll Papierlaternen saßen,
Dann vorbei an dunklen Magazinen und vorbei an dunklen Parken, über Eisenbahngeleise, über Trambahnschienen,
Hell und dunkel war die Reise; bis der Weg, sich ganz verfinsternd, über Brückenstege und Kanäle zog und dann in die Nacht wie auf eine schwarze Ebene flog.
Und es mehrte sich im Finstern rings das Räderrasseln anderer Gefährte; und es fuhren mit mir Hunderte von Männern, die denselben dunklen Weg genommen,
Mit der Lust zum Lieben hergekommen, und die Rikschaburschen, gleich den besten Rennern, unter Rufen in das Finster trieben.
Andere Rikschawagen schieben unsichtbar auf den finstern Winkelwegen schon zur Heimkehr mir entgegen;
Tragen trunkene Gelächter laut und übertrieben. Manche Stimme haut wie ein übermütiger Fechter, und die Zunge lallt aufgetaut, daß die Nachtluft schallt.
Diese Räderjagd um mich in der Dunkelheit stets zunahm, und nicht eine Handbreit Licht zu mir kam. Dreister Stimmen Rufen und Rumor
Hängten sich wie kecke Geister an mein Ohr, rennen, kommen und verschwinden, ohne daß die Augen einen Schatten in der Finsternis erkennen.
Nur des Himmels blanker Sternenriß funkelt über schwarzen Hüttenlatten. Dann erleuchtet mich, wie mit braunen Bränden, eine Gasse bei dem Wenden um die nächsten Ecken.
Garküchen mit vielen flinken Händen braten, kochen, und mit Fettgerüchen sich die Dämpfe in die Straßen strecken.
Auf zwei großen Eisenpfosten saßen mächtig zwei Laternen. Polizisten stehn als Posten. Durch ein bronzen Gittertor eingelassen,
Öffnen sich mir lange Lichterstraßen. Tausende mal tausend von Laternen, weißen, runden ziehen sich in Reihen fort,
Und begleiten, hell und ohne Wort, lockend durch die Mitternacht die Stunden. In den breiten Lichteravenüen
Mit den saubern Holzgehäusen hier zu beiden Seiten, blühen in der Mitte rosige Kirschenbäume, die im Lichterschein, wie geschminkt und gepudert, unterm Sternenhimmel rosig glühen.
Alle Straßen sind gleich langen Sälen, wo die Wände und die Holzaltanen mit den Lichterketten weiß und rot behangen;
Und der Kirschenbäume Blütenbetten in der Nachtluft rosig wehen, als sind rosa Seidenfahnen aufgerollt an der Äste Stangen.
Eine erste Eingangsstraße ist noch mädchenleer, festlich nur erhellt, erst die nächste Seitenstraße hat die wunderbaren Scharen von fünftausend Mädchen offen ausgestellt.
Gleichwie helle Ladenreihen in der Städte Warenstraßen, stoßen hier, vor dem Volksgewander in der Häuser Erdgeschossen, offene, prächtige Gemächer voll von ausgestellten Mädchen aneinander.
Unterm Lichtermeer steht dort hellbeschienen eine Menschenmenge vor der Freudenhäuser lautlosem Gepränge. Statt der Scheiben trennen dicke Gitterstäbe diese Prunkgemächer von den Straßen.
Drinnen aber saßen wie die Bilder, welche Künstler zart auf goldne Fächer malen, aufgereiht in jedem Haus fünfzig liebliche Gesichter;
Wie aus rosigen Perlmutterschalen glühen ihre Wangen in dem Heer gedämpfter Lichter. Gleichwie matte Perlen eingefangen, und auf Seidenhaufen hingelegt,
Sitzen diese Mädchen unbewegt in den goldgewirkten, blumigen Stoffen ihrer Kleider, wie die Göttinnen vergoldet und gepflegt.
Keine hat die Augen frech und lüstern offen, jede hockt am Boden auf den flachen Seidenkissen, jede ihrer Gesten abgewägt.
Und sie zeigt sich wie ein zartes Ei, das man hier auf zarte Watte vorsichtig zur Schau gelegt. Alle sitzen wie die Buddhagötter auf den Lotosblumen,
Wie in stummem Selbstbeschauen, unerregt. Fünfzig stets von Haus zu Haus, eingehegt wie die kostbar weißen heiligen Tempelpfauen,
Sitzen diese winzigen Frauen. Wie die Schar von weißen Mäusen, Maus bei Maus, schau'n sie aus den Goldgehäusen auf die Menschenmassen in den Straßen.
Stets ein Strauß von hundert Mädchenaugen lugt aus jeder langen goldnen Gitterzelle in die lampenhelle Nacht hinaus.
Unbewegt wie ein Zug von roten Fischen, die im Goldfischglase auf den Tischen stehen, lassen sie die Pracht der blumigen Seiden, wo die Fische ihre Schuppen, sehen.
Und die Schaugemächer gleichen jedes einem Kleinodschrein, sind wie goldne Becher, drinnen diese Mädchen leuchten gleich den hellen Tropfen vom vornehmsten Wein.
Draußen alle Straßenaugen lebhaft in den Schätzen wühlen, und der Männer fünf menschliche Sinne wirbeln wie die Flügel von fünf Mühlen.
Über wunderbar geschnitzte Wände kriecht aus Goldlack blendendes Getier; prächtig und erhaben goldgeschnitzt sind zur Augenweide die Gemächer hier.
Goldne Tiger traben, die sich mit den Wänden halb verschmelzen, goldne Drachen, die sich aus der Decke wälzen,
Goldgeschnitzte Flammenfeuer, und draus schießen goldne Ungeheuer, zeigen goldgepanzert ihre Leiber, öffnen weite goldene Rachen,
Als ob sie die Reihen dieser fünfzig tauben, stillen, kleinen Weiber wie Prinzessinnen bewachen. Jede Mädchenreihe zwischen goldnen Wänden sitzt,
Jede Kammer, ringsum alle fünfzig, Gold aus allen Wänden schwitzt. Anderer Häuser Schaugemächer sind aus rotem Lack, wie aus rotem Blut getrieben,
Wie aus Eisen rot in Glut. Und gleich Reihen weißer Monde hier die Kette der gepuderten Gesichter vor den rotgeschnitzten Wolken ruht.
Rot von Lack, künstlich aufgebaut, sind da rote Pinien, rotgeschnitzter Wellen Flut, roter Bambuswälder rote Speere,
Und darüber lebensgroß rote Störche, rote Kranichheere. Jede Kammer lebt voll Spukfiguren, gleich der Wollust, die hier bei fünftausend Huren
Vielarmig, wie die rot und goldne Glut eines Feuers, niemals ruht.
Aus dem Oberstock der Häuser zirpte manchmal eine Flöte; eine dreiste Trommel brummt, und am Eingang sitzt der feiste Hausbesitzer, summt zufrieden hinter seines Hauses Kasse,
Und er zählt dabei seiner Gelder Masse. Unterm Lichte steht erleuchtet Gasse neben Gasse. Manches Mädchen tritt ans Gitter einen Augenblick heran,
Schleift nach sich die Seidenmasse ihrer Schleppenkleider wie ein Goldfasan; leicht tönt an auf dem Haarschmuck Filigran und Blumenflitter,
Und es klingelt eine Weile hell der Kopfschmuck ihrer Jaspispfeile. Und sie greift mit der Hand durch das Gitter, daß sie einen Atemzug aus der kleinen, silberfeinen Tabakpfeife auf der Straße einem Freund antrug.
Dieser raucht einen leichten Zug. Sie begann ein Geflüster durch die Gitterstäbe dann, bis der Mann sich nicht lang' besann, trat vom Mädchen lachend fort an die Kasse und zur Haustür schnell heran.
Hie und da steht auch anderer Besuch an dem Gitter dort. Mutter oder Schwester plaudern mit der Liebesgöttin ohne Scham und Zaudern,
Tauschen fröhlich Neuigkeiten und ein herzlich Wort.–
Zu dem hellen Liebesmarkt, wo die Frauen, wie Kaninchen zart und auch selbstverständlich, aus den goldenen Ställen schauen,
Kam ich wie ein Bär aus dem unbeholfenen Europa her unter Staunen, und mein Fuß ging, mit den hellen Sitten unbekannt, wie ein Elefant auf Eiderdaunen.
Und ich stand vor dieser schönen Mädchen Zahl, ging vor allen Gittern hin, ging durch alle Straßen, ging von Saal zu Saal,
Wanderte im Volksgewimmel und bestaunte an vielhundert Mal viele hundert Hurihimmel. Sah vor mir der Liebe Leib, der hier, Weib bei Weib,
Mit vieltausend Augen nach mir glänzte. Aber von fünftausend Gesichtern, die hier, klein und schmal, auf die Qual meiner Sehnsucht hergeleuchtet,
Still und fröhlich wie die Blumenlichter, – nicht auf ein Gesicht fiel meine Wahl. Ich verließ des Yoshiwara goldenes Gestühl,
Der fünftausend Mädchen ewig lächelndes Gewühl. Mit der Leere, wie ich hergekommen, ging ich unter meines Heimwehs Schwere.
Über sieben Meere sah ich eine, die hat meinen Liebessinn ganz zum Sklaven sich genommen,
Darum ist mein Herz hier wie ein Fisch, folgend einer einz'gen Angelleine, an fünftausend Ködern kühl vorbeigeschwommen.

 


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