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Am Weltabgrund

Am nächsten Morgen steh' ich oben am Grand Canon, im braunen Holzhotel, drinnen die Halle, voller Büffelköpfe, bei mächtigen Kaminen hockt,
Behaglich ausgeschmückt mit Jagdschloßlaunen, und gern als Gäste Milliardäre lockt. Im Garten stehen neugepflanzte Bäume, die, ohne Schatten, noch auf Laub und Breite warten.
Vom Hause fort, hinter dem letzten Baum kaum hundert Schritt, trittst du an einen meilenlangen Raum, der, dir zu Füßen, dich erschreckt verwundert. Du siehst nur eine Tiefe ohne Ende, und drinnen, wie entzündet von farbigen Flammen ohne Fesseln,
Stauen sich Felsenbuchten in Erdenschlünden und Erdkesseln, gleich hunderttausend roten, blauen, grünen, grauen, weißen, gelben gigantischen Riesensesseln.
Sie steigen aus dem bodenlosen Raum und schweben auf der blau und violetten Tiefe, als wären sie der Platz für alle Unterwelten.
Als ob die Höllenfürsten und alle Engelscharen sich hier die Sessel für den Jüngsten Tag hinstellten, so dehnen sich Millionen von Arenen
Und runden sich mit feuerfarbenen Thronen. Es ist ein riesig rosiges Gebirge dort unten in den unbekannten Gründen. Die Höhen aber ragen nicht herauf.
Glatt an der Kugelfläche dieser Erde enden, in einer Linie, alle platt. Es ist, als hat man hier auf Meilen, ins Innere der Erde, die mächtigsten Gebirge eingerissen,
Und drinnen tief sieht man nicht mehr die Wurzeln von jenen unergründlich tiefen Keilen. Die Ferne fort in einen violetten Nebel lief.
Und niemand rief über den Weltabgrund jemals ein Wort. Kein Ruf aus einem Mund, kein Schall erreicht den unsichtbaren Jenseitsort hinter dem Nebeltuch im leeren All. –
Jede Arena, die du eingebuchtet unten siehst, ist stundenweit und wie ein Muschelohr gewunden.
Und tagelang und tagetief sind diese Windungen, die runden; und wie in einem Irrgang, und ohne daß du dir ein Ende in diesem Chaos in der Tiefe dort gefunden,
Hältst du die beiden Hände vor die Augen, erschrocken, wirr. Du siehst die Blutfarbe von deinen Fleischgeweben auch in dem Abgrund in der tiefsten Erdennarbe leben.
Vom dunkelsten Karbon bis tief hinab zu dem archaischen Gneis liegt hier die Bläue toter Adern, zerschnitten wie der Erde treue Pulse,
Als hätten sie hier langes Hadern und hätten hier entsetzten Kampf gelitten. Und mitten in den Tälern, den zerfetzten, liegt hier die Wunde, wie ein Welttheater,
Der Neugier in der Runde offen. Du findest nirgends hier von diesem Schauspiel je das Ende. Du kannst die Gegenstände drunten nicht erkennen,
Die Meilenzahlen, die die Felsensessel drunten trennen, nicht mehr nennen. Ich sah tief unter mir ein weiß Papier, nicht größer als ein Zeitungsblatt;
Das aber war ein riesiges Hotel auf einer Felsenstufe in den Schlünden; und was ich sah, war nur das Dach im Felsgewirr,
Das lag wie ein Papier so klein und flach im halben Abgrund unter mir.
Es war, als hätt' sich hier ein zackiger Planet einst wie ein ungeheuer Rad in das Erdinnere hineingedreht; und nun blieb ewig, wie gefärbt vom Feuer zweier Leidenschaften,
Durch die Millionen Jahre fortgeerbt, die Wunde rot und aufgebrochen in unserer Erde siebenfarbig haften.
Und hier wird einst die Todesstunde, hier einst der Jüngste Tag der Erdenwelt, wenn sie zerfällt unter den Todeshieben, hier dieser Stelle zugeschrieben.
Hier an der Waldesschwelle, wo ich stand, und die sich »glänzend Engellager« nennt, sagt man, fahren Erzväter und Erzengel dann auf ihre Sessel hin in heiligen Scharen.
Und in der Tiefe in den Schlünden, wo sich pechschwärzlich die Gesteine runden, erstehen die Gebeine aller Sterblichen, die fortgegangen, um den Tod in seiner Tiefe zu ergründen,
Und die sich dann von neuem hin zum Leben sehnen. Und in den tausend purpurnen Arenen, auf blau und violetten und weiß und rosigen und gelben Felsensesseln sitzen, der Todesfesseln bar,
Dort Schar bei Schar paarweis die Glücklichen, die sich zum Lichte wieder retten und sehen an ihr Sehnen, allein dann in der Liebe klar.
So geht die Sage von dem Weltgericht, die hier am Abgrund groß andächtig und gesprächig spricht. –
Ich ließ die Luft des warmen Kiefernstandes, der kühlen Waldbergeichen, von Moos und Matten und der bleichen Birken Duft
Um mich und meinen Schatten an dem Waldweg streichen und fühlte überall bei Harz und Rinden, als könnt' ich hier den ersten Lufttrunk aus meiner Heimat wiederfinden.
Und dicht schien mir die Heimat durch die Luft genaht, trotzdem mich noch ein letztes, großes, siebent' Meer, leer, von der Liebsten trennen tat.
Nichts scherte mich der rote Höllenabgrund, der wild' gerippte kreuz und quer; es ging die Waldbien' honigsuchend, und Sommerwärme nebenher.
Lag auch die Erde aufgerissen mit rot und blauem Felsgedärme, und hielten dort im Engellager Erzväter heute schon Gericht
Über der Menschheit gut und schlecht Gewicht, mir war es recht. Mich quälte nicht die Tiefe jener Schlünde, die hier noch keiner zählte, und denen jeder Boden fehlte.
Die Füße stießen mir nicht hier an aller Erde Ende. Ich sah die Felsenwände nicht zerrissen. Ich sah sie nur wie einen Haufen rosiger Seidenkissen,
Die drunten durcheinander und rund umhergeschmissen. Ich sah nicht Höllenschlöte, sah nur die Abgrundfarbe wie zweier Menschen herzerblühte und tiefverliebte Röte;
Und nirgends sah ich Todesnöte und nirgends wildzerschlissen Erdenwunden. Mir war, als hätt' ich hier für meine alte Sehnsucht endlich ein offen Hochzeitsbett am Ende dieser Welt gefunden.

 


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