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Abfahrt von Kalkutta

Ich stieg im Morgenrauch ans Schiff und wollte von Kalkutta hin nach Birma.
Der dämmerige Hooglyfluß, gleichwie ein Wasserschlauch, durch eine große Wolkenmasse lief.
Ein Brückensteg stand an dem Schiffsbauch bei des Schiffes Wand, davor die Hafenärztin
Allen Passagieren die Hand gab, um den Puls zu visitieren.
Sie maß die Pulse ab und suchte flüchtig nach den Fieberkranken.
Auch ich mußt' ihr in ihre Augen sehen. Ganz in Gedanken statt des Pulses sie meinen Ärmel hielt.
Sie fand kein Fieber an der Kleidersträhne und ließ mich ohne Quarantäne gehen.
Der Morgennebel kam am Schiff ins Wandern, und graue Dampfer, Barken, blaue, grüne, bald hell entstehen.
Die Sonne deckte wie mit Messingplatten gelb den Fluß, und hundert Boote, gleichwie graue Ratten,
Umringten aller Schiffe Riesenschatten.
Als ob der Schiffe Rümpfe keine Körper und Uferhäuser keinen Steinbau hatten,
Hingen nur Masten, Dächer, Fenster hoch überm Wasserschein
Im schwanken, gelben Morgenglanz,
Als ballte sich die Wirklichkeit der Welt ganz neu zum Dasein unterm Nebeltanz
Und formte Planken, Dach und Mauerstein bei Stein.
Weich glitt mein Küstendampfer hin im Hooglyfluß vom Schattenreich ins feste Tageslicht hinein.
Doch meine Seele hatte nicht Gewinn und weinte fortgesetzt an gleicher Stelle
Und suchte nach der Liebsten schon in der frühsten Morgenhelle
Und sagt' mir offen: wie der kühlen Ärztin war's ihr gleich, muß sie nach fremden Händen oder Kleiderstoffen fühlen,
Ob fieberlose oder fiebervolle Augen auf sie starrten, lag vor ihr Birma oder sollt' sie selbst noch der Saturn erwarten.
Ach, keine Tageszeit schuf in der Fremde Nebelreich für meine Seele Wirklichkeit;
Ihr Himmel lag noch viele Meere weit. Die Reisestunden keine Wichtigkeit für meine arme Seele hatten.
War auch die Tropensonne jetzt breit aufs bunte Meer gestellt und gleißte,
Mit meiner Sehnsucht in der Seele reiste ich dunkel und gequält, wie nur ein Schatten durch die Unterwelt.

 


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