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Sonnenaufgang am Tigerhügel

Ich ritt morgens fort im grünlichen Mondschein. Es nahm mich Wind- und Pflanzendampf noch zweitausend Fuß hoch zum Tigerhügel mit,
Der neuntausend Fuß über dem Meer wie ein Drache das Wolkenheer durchschnitt.
Ich saß wie festgefroren im Bügel auf einem lebhaften Pferdchen, das horchend zum Mond die Ohren stellte.
Der neblige Frühmond die Wegkante kaum am Abgrund und Bergschlund erhellte.
Im Nebel erschienen Schneefeld und Wolken bewegt wie von einem unsichtbaren Hebel.
Wie am Abend, so hier auch am Morgen nichts am Wege sicher liegt,
Die Himalajawelt unendlich sich biegt und verschiebt und sich wiegt.
Manchmal fühlst du dich im warmen Dunst, der unten aus Indien emporsteigt, geborgen,
Als reicht die warme Sorglosigkeit der Tropenwelt herauf in die Steinfalten und in die steinkalten Schluchten voll Sorgen.
Mit mir ritten Damen und Herren, und die Hufe klapperten immer heller von Bergstufe zu Stufe.
Vom Himmel war es, als regnete Stern bei Stern.
Alle Nachtmüdigkeit schien dem Berg in der dünnen Luft fern.
Leicht und körperlos schlägt das Herz, und leicht atmet das Pferd, das dich trägt;
Leicht und groß stehen die Sterne, klar und erregt,
Als würde das Herz bei jedem Schritt offen und freigelegt,
Als macht die klare Luft deinen Leib durchsichtig wie eine gläserne Wand.
Du siehst Mut, Hoffnung, Freude und aller Ideale Land. Und wie ein Weg voll weißem Sternensand
Das Mondlicht im Nebelsaale zwischen Höhe und Abgrund stand.
Nach drei Stunden fand ich den Tag am Gipfelrand.
Der schuf Steine, Bäume, Moos, als ob er dir schwarze Zeichnungen hinhält
Und in der Morgendämmerung die Dinge neu aufstellt.
Am Gipfel des Tigerhügels stand ein Scheiterhaufen geschichtet,
Die Tibetdiener haben ein großes Feuer im Schnee errichtet
Und setzten dran einen Topf mit Wasser zum Morgentee.
Als noch alle die Fußspitzen wärmen, Damen und Herr'n,
Gräbt sich von fern durch den Schnee ein blutroter Stern,
Als siehst du aus goldener Höh' einen scharlachnen Vogel fegen.
Manche Wolke rollt wie eine goldene Tonne unter seinen Flügelschlägen.
Der feurige Vogel ist die Sonne.
Rote Schatten eilen über die weißen Schneefelder und zackigen Gipfelzeilen des Berges Everest und des Kintschen-Jounga,
Die wie große, kalkige menschliche Masken mit geschminkten Wangen die Nebel fleischrot für Augenblicke zerteilen.
Wie die Meilen und Linien von gezeichneten Landkarten starrten aus dem Äther die Bergscharten.
Nichts lebt hier oben an dem Tigerhügel als die Leere der Meilen
Und der Abgrund, der sich wie eine ewige Nacht unter Wolken eingräbt.
Als seien Erde und Himmel erst im Entstehen gedacht,
Gehen im Kreis weiß in Rissen und Formen des Himalajas Glieder,
Von Äther und Wolkenlawinen zerschlissen.
Sind gleich Kissen, darauf einer sich ruhlos wälzt, und in Sehnsucht hat er die Pfühle zerrissen
Und will lieben, umarmen und aus ewiger Kühle heraus endlich erwarmen,
Und will die Liebe erleben und nicht nur von ewigen Leiden wissen.

 


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