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Nachtabenteuer in Tokio

Daß das Schicksal einem jeden nachläuft bis in Ewigkeit, dies erfuhr ich noch zur selbigen Nachtzeit.
Kaum wich ich heil und bedacht den fünftausend Mädchen in dem Freudenstadtteil aus, so hat sich mein Schicksal aufgemacht,
Und es lud mich schnell noch ein, in derselben Nacht, in ein kaiserliches Haus, und dort trat die schönste der fünftausend Tänzerinnen dann zu mir herein.
Und mein Herz, das dunkel lag, sieht sie heut' noch hell dort tanzen bis zum Jüngsten Tag. Wie das Schicksal, wenn ihm einer flieht, nacheilt,
Davon sei die Kunde hier erteilt:
Die Tokiostadt war noch wach; an mancher Stell' noch mancher Laden bis Mitternacht hell. Ich trat kurz vor dem Hotel an einen Postkartenstand
Und habe meinen Wagen heimgesandt, weil ich mich nah bei meiner Wohnung befand. Ich wählte Bilderkarten, gemalte, von Joshiwaraschönheiten aus;
Will zu Fuß dann nach Haus, verfehle aber die nächste Straße, bleibe noch stehen vor manchem Ladengelasse und tat mich oft um mich selber drehen.
Kein Wagen war zu sehen, nur in den Massen der Straßen in langer Leier die Papierlaternen wie weiße erleuchtete Eier. Und endlich muß ich mir schnell gestehen:
Ich finde den Weg nicht mehr zum Hotel. Bei einem japanischen Schutzmann an nächster Ecke frage ich nach meiner verlorenen Wegstrecke;
Der aber steht wie ein Tauber am Flecke. Wir gestikulieren, wir begreifen uns nicht; je mehr wir agieren, desto mehr wir den Sinn verlieren.
Da treten drei japanische Herren zu mir und dem Schutzmann hin. Sie glauben, daß wir streiten, und dann erbieten sie sich, mich zum Hotel zu begleiten.
Ich danke ihnen nach drei Seiten und gehe in ihrer Mitten. Zwei von ihnen sind gekleidet nach des Landes Sitten, aber den dritten zeichnen europäische Kleider aus.
Als wir die Brücke beim Imperial-Hotelhaus überschritten, lud ich die Herren höflich und dankbar zu einem Trunk ein in meine Hotelbar.
Doch die Bar war geschlossen; da baten die Japaner ihrerseits mich zu einem Teehaustrunk; und hätte ich ausgeschlagen, ich hätte die drei unhöflich verdrossen.
Wir traten in eine der schmucken Seitenstraßen, wo die Papierlaternen mit den Hausnamen wie helle Gesichter über den Türen saßen.
Die niedern zierlichen Holzhäuserzellen standen, gleich feingesägten Lattenställen, unscheinbar im matten Papierlaternenschein.
Auf das Klopfen mit einem Klöppel an einem Haus erschien eine winzige Alte zwischen der Schiebetür Spalte, die warf sich vor den drei Herren mit dem Gesicht auf die Erde.
Sie nahm die Aufträge entgegen, immer am Boden knieend auf der Straße, ohne aufzusehen und mit tiefer Begrüßungsgebärde.
Es wurde mir aber vor dem stillen Haus klar, daß dieses kein öffentliches Teehaus war, und ich ließ darum die Herrn verstehen,
Ich nehme den Einladungstrunk an als geschehen, denn in ein Privathaus möchte ich nicht nach Mitternacht familienstörend hineingehen.
Indes aber ging die Alte über die Straße an eine hölzerne Wand; dort schloß sie ein Haus auf, das drinnen dunkel stand.
Zwei der Herrn aber sagten, daß ich nicht störe, das Haus gehöre dem dritten. Der war schon hinein geschritten, die Alte ist ihm gleich nachgerannt,
Und bald hat Licht im winzigen Hausgang gebrannt. Ich ließ mich nicht länger mehr bitten, trotzdem ich mir im stillen gestand:
Vielleicht wird dir hier der Hals abgeschnitten. »Sie sollen sich nicht scheuen,« sagte der eine Japaner, von meiner Furcht etwas betreten,
Und hat mich mit einer einladenden Handbewegung ins Haus gebeten. »Sie werden es nie bereuen, wenn Sie uns Japanern wie ehrlichen Europäern trauen.
Wenn Sie wünschen, sollen Sie einen Tanz hier im Hause anschauen, den schönsten von Tokios Tänzerinnenfrauen.«
Da trat ich ein mit heroischem Schritte. Ich zog im Hausgang nach japanischer Sitte meine Lackschuhe aus, und auf Strümpfen ging ich den beiden Führenden nach
Und betrat ein kleines, viereckiges, leeres Bambusgemach. Man öffnete ein paar Schiebetüren; ein winziger Garten draußen im Dunkel lag,
Und ich konnte aus seinem Finster den Duft der Kirschblüte spüren. Die alte und eine junge Dienerin stellten in des Gemaches Mitte den Aschentopf voll Glut vor uns hin.
Dann erhellten sie im Garten eine Steinlaterne, brachten mit eifrigen Händen Schreibpinsel, Lackblock, Papier und Tusche
Und verschwanden hinter den Bambuswänden mit dienstfertigem Gehusche. Wir Herren nahmen Platz auf den Fußbodenmatten mit unterschlagenen Beinen.
Wir saßen im Kreise um den Aschentopf, und die Unterhaltung und Vorstellung begann auf zeremonielle japanische Weise.
Der eine Herr schrieb auf Reispapier, mit großem Fleiße erklärend, die Namen; er war Arzt, der andere Gelehrte, der dritte, der in europäischem Kleiderschnitte,
Ist mir erschienen, als ob er kein Wort Englisch und Deutsch verstand, er saß mit ernstadeligen Mienen. Die beiden andern sprachen sich zu mir aus:
Dieser dritte sei nicht in Tokio zu Haus, sie taten ihn einen Gutsbesitzer nennen und sagten, er lasse morgen in Yokohama neun Pferde starten beim Frühlingsrennen.
Einer schenkte Kiribier ein, Bier nach deutscher Art aus japanischen Brauereien. Ich unterhielt mich mit den zweien,
Die in japanischer Tracht links und rechts von mir sitzen, laut gestikulieren und lebhaft schreien. Der dritte aber kaum einmal lacht
Und fast nie den Mund zu einem Wort aufmacht, doch schien er mir der Angesehenste von den dreien. Draußen lag der winzige Garten totstill mit seinem Laternlein,
Es sah aus, als schwamm ein Gondellicht in einen dunklen See fern hinein; daneben schimmerte das gelbe kleine, niedere Bambusgemach
Mit seiner Leere und mit vier Menschen unter dem Dach. Es schien mir wie ein Vogelbauer zu sein und die beiden radebrechenden Herren wie zwei sich laut übende Papagei'n.
Ich wartete auf die Tänzerin und sah oft nach den Schiebetüren hin; diese aber sollte erst aus dem Yoshiwara geholt sein,
Und allmählich schlief die Unterhaltung beim Biertrinken ein. Bis ein Rikschawagen rasselnd vors Haus lief und die Ankunft der Tänzerin hereinrief.
Unscheinbar tiefgrau gekleidet schob sich durch die Schiebetüre das feine Figürlein einer Frau. Das mondweiß gepuderte Gesicht der grauen Seidengestalt erschien wie ein Wachskerzenlicht,
Die Lippen zugespitzt, wie eine Himbeerfrucht rund und rot gemalt, die Augen schauen wie schwarze blitzende Apfelkerne unter den hochgezogenen Brauen.
Sie verneigt sich in der Tür, tief mit dem Kopf bis zum Knie, bis man sie rief. Auf weißseidenen Strümpfen lief sie über die Dielenmatte herein
Wie ein hurtiges Stallhäslein. Dann fällt sie ins Knie, grüßt und saugt laut die Luft ein, wie eine, die niederfällt, die den Boden küßt und vor den Göttern Andacht hält.
Und dann tanzte sie. Kaum um drei Schritte dreht sich ihr Bewegen. Sie schleift den Rocksaum; sie hebt einen winzigen Fächer wie einen Vogel, dem sie nachschaut im Traum;
Sie winkt in den Raum, biegt sich und dreht sich kaum. Und ihre Bewegungen sind wie ein kleiner blühender Fliederbaum, der in der Nachtluft steht
Und seinen Honigduft über die Schlafenden hinweht. Diese, unter den Blüten liegend, hüten jedes Wort, sind wie blind und taub,
Und die Tanzrhythmen der Tänzerin tragen ihre Seelen fort, sanft wie die Nachtluft den Blütenstaub. Aus dem Tanz, wie die Nachtluft verfliegend,
Kehrt sie zurück. Ehrfürchtig die Knie biegend, singt sie am Boden ein japanisches Lied. Und damit man der Gastfreundschaft die Krone bringt,
Singt sie mir Fremdem mit einer winzigen Stimme, die piept wie ein Küchlein im Ei, das deutscheste Lied vom deutschen Rhein, das Lied der goldhaarigen Lorelei.
Wie durch ein Nadelöhr fein, unendlich lieblich wispert sie Wörtlein um Wörtlein. Und ich sah in der weitesten Ferne über den fünf Meeren den schillernden Rhein so klein,
So weit, daß er nur war wie ein winziger Gartenbach klein, wie ein Bach in japanischer Gartenlandschaft voll Zwergbäumlein.
Dann stürzte mein Herz wie ein Kartenhaus schwach unterm Luftzug der Heimat ein. Ich half mir aus meiner Seelenpein, die ich nicht gern offen zur Schau trug,
Durch eine harmlose Geste, die aber schier wie ein Blitz ins japanische Haus schlug. Als blies man dem Feste alle Lampen aus, so entstand eine peinliche Stille im Raum,
Als ich der Sängerin zuwarf als Dank und fast ohne Willen für ihr Lied eine Kußhand. Damit beging ich eine Sünde gegen japanische Sitte und Anstand.
Jede Gunstbezeugung muß hier in Japan in Gesellschaft unterdrückt sein, und nur dem Hausherrn gebührt eine Verneigung allein.
Es war, als ob ich mitten in allen Frieden hinein eine Pistole abschoß, denn Kuß und Kußhand, öffentlich gegeben, gelten in Japan für schamlos.
Als ich der Singenden meinen Kuß hingeworfen, entstand eine Leere im Raum, als versank im Meere eine glückliche Insel im Schaum,
Die kaum erst geboren gewesen. Ich konnte offen blassen Abscheu auf allen japanischen Gesichtern lesen, und dann war mir, als saß ich allein und verlassen.
Denn zu spät fiel mir erst mein Frevel ein. Meine Kußhand allen die Lust am Tanz und Spielen zerstörte, alle waren aufgefahren wie Empörte,
Als ob ich jetzt auf die Straße gehörte. Die Tänzerin schneller, als sie kam, verschwand, wie verflüchtigt hinter die Bambuswand.
Man nahm kaum meine Entschuldigung hin, daß ich als Fremder in japanischen Sitten nicht tadellos bin. Man sah verlegen an mir vorbei,
Und man geleitete mich auf der Stell' auf den schnellsten Wegen zurück zum Hotel. Aber kurz vor dem Hoteltor sagte mir der japanische Arzt rasch ins Ohr:
»Nun haben Sie erfahren, daß Ihnen nichts Schlechtes in einem fremden Hause in Japan geschehen, und Sie haben die beste Sängerin von Tokio tanzen gesehen und singen gehört.«
Ich sagte darauf: »Ich bedauere aber, daß meine europäische Kußhand die Dame und alle japanischen Herren heftig gestört.«
Der Arzt schwieg höflich. Dann macht' er ein Zeichen, und eh' wir das Hotel erreichen, spricht er wie zuvor in mein Ohr:
»Sie wissen noch nicht, wo sie den Abend zugebracht, Sie waren zum Tanzfest heute nacht
Bei einem kaiserlichen Prinzen.« Und der Arzt trat noch näher an mich heran und lacht: »Sehen Sie sich den Herrn fest an, den in europäischer Tracht,
Der, dem morgen in Yokohama neun Pferde rennen; Sie werden des Prinzen Bild morgen auf allen Ansichtspostkarten erkennen.
Das Haus, das Sie betreten, war eines der Absteigquartiere, davon er sich mehrere in Tokio hält, und wohin er sich immer die besten Geishas bestellt, wenn es ihm einfällt.
Und die Tänzerin heute war seine beste hier, die schönste von den fünftausend in Tokios Yoshiwara-Revier. Ich bin des Prinzen Leibarzt, sein Haushofmeister ist der andere Herr.
Wir hoffen, Sie langweilten sich heute abend nicht allzusehr. Der Prinz und ich kamen gerade von einem Diner, das wir einnahmen beim Haushofmeister,
Und wir machten noch eine Nachtpromenade, um uns Bewegung zu schaffen, als wir Sie bei dem Schutzmann trafen. Mein Herr, ich empfehle mich Ihnen und wünsche wohl zu schlafen.
Der Prinz selbst wollte, daß Sie erfahren, eh' wir Sie verlassen, daß Sie bei einem japanischen Prinzen zu Gaste waren.«
»Erstaunen Sie nicht, ich bin gleichfalls ein Prinz,« sagte ich dem Arzt und habe mich schnell gefaßt und sprach ohne Hast dem Herrn ins Gesicht.
»Aber mein Reich ist auf dieser Erde nicht. Mein Reich ist im Gedicht und Reim, ich bin ein deutscher Prinz aus Wolkenkuckucksheim.«
Ich weiß nicht, ob mich der Hofherr verstanden, der mir den Prinzen zum Abschied gezeigt; ich habe mich dann vor der Hoheit verneigt,
Als ob uns gleiche Kronen verbanden. –
Also ist mir, weil ich im Yoshiwara ausgewichen dem Tänzerinnenhaufen, in dieser Nacht im japanischen Reiche
Das Schicksal nachgelaufen, schnell wie auf einer Radspeiche. Und es hat sich die beste Tänzerin noch spät für mich aufgemacht,
Hat sich in ein kaiserliches Haus gebracht und tanzte und sang, bis ich mich wehrlos zu einer Kußhand entschloß,
Einer Kußhand, die ich lustig mimte, – die erste, die ich auf dieser Reise durch fünf Meere für ein anderes Gesicht als für das meiner Liebsten bestimmte, –
Einer Kußhand, die doch nichts anderes andeuten sollte, als daß ich mein Heimweh dahinter verbergen wollte.

 


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