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Tropengewitter bei Sumatra

Das Schiff zog mit mir stumm nach Osten fort, nur meine Gedanken sahen sich noch nach Indien um und sprachen von Indien ein letztes Wort.
Aber das Schiff ging geradeaus, wie ein Riesenschneckenhaus schleppt es sich ins Meer hinaus und streitet und ficht, indessen es Wasserwände durchbricht.
Die Welt bleibt drei Tage außer Gesicht, indes das Meerwasser ungereimt und gereimt durcheinander spricht.
Das Schiff erscheint dir zuletzt, als sei es angeleimt, zwischen Himmel und Wasser festgesetzt, weil nur immer die Leere um dich aus Luft und Wellen schwätzt.
Auf der Schiffspromenade, unter den tropenhellen Kleidern, zwischen den Passagieren, tat sich ein dunkler Fleck hin verirren, der meine Augen bannte.
Ich erkannte jene Dame, die auf einem Aug' blinde, und ihre schwarze Augenbinde rannte an mir vorbei in der Menschenmasse.
Zum dritten Mal ich sie auf der Weltreise wiederfinde, und wie zu einer kleinstädtischen Gasse wurde mir die ungeheure Weltenstraße,
Die sich um Erdteile und Wasserwüsten spannte, auf der man sich grüßte und beim Namen nannte und wieder Nachbar wurde bis zur nächsten Küste.
Und Sumatra lag nah', als ich am dritten Tag vom Rand des Schachbretts sah, das zwischen mir und jener einäugigen Dame am Promenadendecke stand.
Als dicke, vermummte Waldberge entstiegen Sumatras Erdrinden dem Meer ähnlich den plumpen Bärenrücken; ähnlich wie mächtige, dunkle Särge
Schwammen dort finstere Stücke hohen Landes. Daß Menschenfresser dort den schwarzen Strand bewohnen, erklärte mir die Dame, hindeutend mit der Hand.
Spät noch am gleichen Nachmittag schlug uns ein Sturmwind Schlag auf Schlag, ein tropisches Gewitter gärte, das Schiff im gelblich überhitzten Himmel lag.
Schnell schlitzten Blitze lange Wolken auf und waren nicht zu zählen, als ob gleich hundert Messer mit weißen Klingen gelbe Früchte schälen.
Der Tropenregen raste, wie eine Bestie mit Geschnauf, und Donner explodierte, als wären Meer und Himmel Panzerplatten,
Als ob in einem Festungswerk ein ganzes Lager von Granaten an den vier Enden wild krepierte. Von Sumatra stand nur ein Schatten als Nebelwand noch nah'.
Die Damen und die Herren hatten sich eben fürs Diner mit großem Glanz gekleidet; da setzte sich die Blinde zum Klavier und spielte allen Blitzen auf zum Tanz
Und allen Augen, drin das Schwefelfeuer spielte, indessen Blitz um Blitz auf Fracks, auf weiße Schleppen und Brillanten zielte.
Gezähmt allmählich, schwieg des Himmels Feuer langsam wie gelähmt, und nur das Meer lag noch wie ungekämmt und aufgestemmt hoch an des Schiffes Steuer.
Und die Gesellschaft, die noch eben, unter den offenen Kabinentüren, dem grellen Schüren aller Blitze zugesehn,
Konnte jetzt lachend unter dicken Sternen am nassen Abenddeck spazieren gehn. Der Dinnergong rief laut zu Tisch;
Gelassen sprach zu mir die blinde Dame, und 's ging ein Gruseln über ihre Haut: »Die Menschenfresser, die in Sumatra am Ufer saßen,
Sie passen auf die Dampfer auf und wünschen ihnen Sturm und Wettermassen. Wär' nicht das Glück hier mit im Schiff,
Wir säßen jetzt vielleicht auf einem Riff, und jene Wilden fräßen uns heut unerschreckt zur Dinnerstunde; ach, doppelt schmeckt mir nun ein jeder Bissen in dem Munde.«
Antworten konnt' ich nur zerstreut und ging mit ihr zum Speisezimmer. Mich hatte Sehnsucht, schlimmer gewiß als jeder Menschenfresser, im Gebiß
Und hat mich wieder, immer wiederum gekäut und hat die Mahlzeit stets mit jedem Tage stumm an mir erneut.

 


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