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Im Ahnentempel von Kanton

Ehrfurcht für das, was deiner Ahnenschar schon nützlich war, und auch Bescheidenheit sind über alle Maßen hier der Ausdruck in den fleißigen chinesischen Gassen.
Ernst eingesessen schon manch tausend Jahr' beim gleichen Werkzeug, gleichen Handwerk die zähen Arbeitsscharen saßen.
Unscheinbar, aber doch gewandt wie schon der Ahn, arbeitet Hand bei Hand und klug der Stirne Falten und des Auges Mienen,
Als sind Verstand und Herz und Menschenhand zum täglichen Verdienen brauchbarste, zuverlässigste Maschinen in dem chinesischen Millionenland.
Und lautlos weiter durch das Gassenband mein Sedanstuhl den Weg sich fand. Viel Buden voll von schwarzen langen Haaren zeigten in Scharen aufgehängte Zöpfe,
Die warteten auf Käufer und auf Köpfe. Zöpfe, die stets das Zeichen des Erkennens der Söhne dieses Landes waren.
Der Rufer und der Läufer vor dem Sedanstuhl schrie bald nicht mehr, ging schweigend nebenher, denn leer ward jetzt der Wald der Laden und sehr gelichtet alles Marktgewühl;
Dann hielt vor langen Mauern mein Gestühl. In leere Höfe, tot aus weißem Stein, unter die vorgestreckten Balkendächer trat ich in einen Tempelsaal hinein,
Der war nur kahl aus Lack und braunem Holz, und eine Unzahl kleiner Urnen, kurz und schmal, ich dort auf einen langen Tisch geschichtet fand,
Gleichwie aus kleinen schwarzen Urnen eine Wand. Es war der Ahnentempel und Kantons Ahnensaal. Die besten der chinesischen Familien ein Aschenbüchslein zu den Ahnenfesten auf diesem Altartische stehen hatten.
Ein gelbes Stäbchen war an jeder dieser Urnenbüchsen mit feiner Schrift zu sehen. Das sagte all die vielen Namen der vielen Aschenreste an, die schon seit Hunderten von Jahren die kleine Urne bergen kann,
Denn Namen gelten hier gleich Särgen. Und Namen halten noch den Toten aufbewahrt, und Namen sind nie tot, sind nur bejahrt.
Und um die Namen hier der Tempeldienst der Menge, Gebet und Opferung alljährlich und Festgepränge gern sich schart.
In einen Namen rollen die Lebenden ein Leben ein. Namen bei Namen wie der Samen sich vermehrt, und liebste Namen wollen weiterlieben und werden ohne Tod wie Lebende verehrt
Und für die Augen hingeschrieben, und sind im Blut auf Lippen und im Ohr nach tausend Jahren warm geblieben.

 

Zurück zum europäischen Schamien trollen die Sesselträger hurtiger davon, als ob die Pferde von der Fron zum Stalle wollen.
Als wär' ganz Kanton eine Mausefalle und ich verdankte mein Entkommen nur einem Zufall und dem Glücke, atmete ich aus tiefem Herzen auf schon an der Schamienbrücke.
Und ich begrüßte gern den europäischen Häuserhauf am Wasserlauf, bei dem Kanal, war er auch totenstill wie eine Wüste,
So schien er mir zugleich ein Gartental im Gegensatz zum Höllenreich, gegen die Nasenqual in jenen Kantongassen, wo dich, Blutegeln gleich, die Düfte schröpfen
Aus Fässern von Urin, aus Opium und aus Pfeifenköpfen, aus Moschus und aus Räucherrauch, aus Küchen und aus Fleischertöpfen und aus dem Wachs der tausend Kerzenmassen;
Gerüche, die wie Fratzen dicht am Wege saßen und dich nicht Atem schöpfen lassen. Von meiner Zunge, meinen Kleidern ging nicht der Kantonstadtgeruch,
Er schrieb sich ein mit einem wilden Schwung in Fleisch und Blut und ward noch in Erinnerung wie eine Schrift im Tagebuch.
Ich wußte nicht, war der Geruch, der sich um mich gebauscht, wie Manna oder Gift; Lüste und Ekel haben stets getauscht.
Im ganzen aber fühlt' ich mich berauscht, als war die Tagereise auf dem Sedanstuhl heut' eine Fahrt an eine ferne Küste.
Ich sah am Abend jetzt die Sterne drüben hoch über allen Kantonhäusern und den Gassen, als ob sie sich, wie hell in Massen,
Wie Blüten von den brandigen Düften dem Himmel in das Fleisch eingrüben. Und immer hörte ich im stillen Schamien
Die Menschenheere von der Stadt, ihr Rufen drüben, als ob sich Haufen Papageien im Sprechen schwatzend üben.
Als ob vielhunderte Millionen von Chinesen im menschenvollen Chinareich die Worte meiner Sehnsucht, Einsamkeit und Leere zugleich laut und millionenfach aus allen Sternen lesen.

 


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