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Ankunft in der alten Kaiserstadt Kioto

Von Osaka, dem nebligen Hafen, reist' ich dann mit der Eisenbahn fort, unter Regenwolken nach der Königs- und Tempelstadt Kioto
Und kam an am urältesten Ort japanischer Künste und Sitten, der inmitten des Landes gelegen, von einem schönen Flußbett durchschnitten,
Umgeben von regen Berglinien, die ihre Schatten seit Jahrtausend über den Kaiserpalast morgens und abends über die Gassen und Gäßchen legen.
Ich sah die Brücken, die Tempel und die Landschaftsbilder, die alten, auf allen Wegen, welche japanische Künstler auf Seide, Reispapier und Lack festgehalten,
Und alle die vielgesichtigen Straßengestalten, die tausendfach in Elfenbein geschnitzten und in Goldlack gemalten,
Die hier heute noch vor mir, gleichwie aus Perlmutter, vielfarbig blitzten. –
Der Abend war trübe, wenig Laternen brannten, als mit mir die Beine meines Rikschamannes durch die finstern, verödeten und verregneten Straßen rannten.
Hätte ich nicht gewußt: ich bin in Kioto hier, ich hätte geglaubt, ich bin in einem endlosen Dorf; dunkel und totenstill standen die winzigen Häuser, wie ausgestorben schier.
Da war kein Ladengefunkel, die Buden, frühzeitig alle geschlossen, standen dunkel, wie Scheune bei Scheune aus Holz;
Und nichts an dieser Stadt erschien im Finstern königsalt und stolz. Nur das Kiotohotel wie eine erleuchtete Insel war, gefüllt von einer europäischen Fremdenschar.
Die kleinen japanischen Dienerinnen, jede mit einer Rose im Haar, knicksten und verbeugten sich tief. Die grüßenden Japaner ziehen den Atem laut ein,
Als ob sie deinen Anblick kosten und ihn laut schlürfen, wie einen Tropfen vom erlesensten Wein.
Dieser schlürfende Laut überall durch ganz Japan mit mir lief; immer, wo sich zwei auf der Straße oder im Haus verbeugen,
Hörst du dieses schlürfende Hochachtungsbezeugen. Manchmal sah es aus, wenn zwei sich zu grüßen kamen,
Als lief' dem einen beim Anblick des andern, wie vor einem köstlichen Apfel, der Speichel im Munde zusammen. –
Besser grüßt man wohl kaum eines andern Leib und Gesicht,
Als daß man ihn ansieht wie ein wohlschmeckend und leckeres Lieblingsgericht.

 


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