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Tibetleute

Die Erde, die den Menschen hält und zu sich zieht, sie ist sein bester Freund,
Wenn er sich mit dem Herzen und beiden Beinen auf sie stellt.
Ins Bodenlose aber fällt, wer in die Wolken steigt zur Luft, die klar erhellt und blendend ruft.
Als ob ein Fisch aufschnellt, vom Wasser an das Ufer fällt,
Fühlt sich der Erdgeborene schwer atmend oben an der Berge Tisch.
In Räumen, die vom Weltallmeer erfüllt, steht eine fremde Lichtwelt droben groß enthüllt.
Es rennt dein Blut im Leib wie eine Herde aufgeregter Ratten,
Die aus dem Keller in die Sonne flüchten und doch nicht heller sehen und dort geblendet stehen.
Die Tibetleute traten an den Zug und saßen schmutzig Schar bei Schar
Hoch oben an den Himalajastraßen, grinsend, mit ungekämmtem Haar,
Das schon seit Jahr und Tag verfilzt wie schwärzlich Moos am Schädel war.
Schlitzäugig und in Wollensäcken, mit Mützen grob aus Fellen und aus Häuten,
Waren sie wie die Welt von wilden Teufelsleuten, die sich ins sanfte grüne, indische Tal hinabzusteigen scheuten,
Und die sich oben bei den nassen Wolken und bei den grassen und granitnen Schluchten
Am spukhaft starren Leben freuten.
Gleichwie ein Kehrichthaufen, vor dem dir graut, stand hier am Schienenweg ein Budenhaus beim andern,
Aus fortgeworfenen Dingen aufgebaut, die sonst als Abfall vor die Städte wandern.
Aus Kistenbrettern und Konservenbüchsen, auch blechernen Petroleumkasten;
Kahl abgetakelt gleich den Wracks, die auf den Riffen hängen ohne Masten,
Standen die Buden in den Steingedrängen, stinkend nach Erdöl, Ruß und Schimmel,
Gedeckt mit Teerpappen die Dächer, verstopft mit Sacklappen die Mauerfächer,
Im Luftzug winkend in den Himmel wie hunderttausend Vogelscheuchen.
Und aus dem Innern hörtest du die Tibetleute niesen, spucken, husten, keuchen.
Mit großen, schwarzen Leitern standen englische Firmen auf den alten Kistenbrettern,
Als ob hier der Kulturwelt Abfall, am Himalaja angespült, zu Boden fällt.
Als wär' die Menschheit hier beim Höherfliegen tiefer in Achtung vor sich selbst herabgestiegen.
Man sah nur rings vertrunkene Gesichter von tibetanischem Gelichter
Am Weg wie fleischgewordener Stumpfsinn liegen.
Sie grinsten wie die unbehaunen Steine,
Und jedes Schlitzaug' glänzt wie eine Fliege, eine kleine. An ihren Schädeln, den bezopften,
Augen und Nase von der Kälte und von dem Schnapse tropften.
Und jede Backe war wie eine blau und rot bemalte Blase.
Aus schmutzigen Petroleumkisten ein Ladentisch in jeder Bude aufgestapelt,
Dahinter stand herkulisch manches Weib, groß wie ein Mast, wild wie ein Urwaldast.
Breitschultrig gleich Granit und kantig war ihr Leib,
Als trägt sie auf den Knochen und niemals mit dem Herz des Lebens Last.
Sie hat die Wangen statt mit Puder belegt mit braunem Ochsenblut,
Sie deutet damit an ihr heiratslustiges Verlangen,
Daß sie zu lang' als Witwe jetzt gegangen und sei zum Einsamleben sich zu gut.
Sie macht mit ihren Wangen voll Ochsenblut den spröden Freiern Mut.
Ich schaute staunend hier auf manche braunrot angeschmierte Frau,
Vor deren Ochsenröte mir im Grunde graute,
Die ihre Liebeswut mit Tierblut grell der Welt zur Schau gestellt.

 


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