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Hundertdreizehn Schritte

Unter den weißen Gehauen im Agraschloß ist ein Gefängnis für die ungetreuen Frauen.
Nicht finster, fröhlich weiß auch, schauen drinnen die Wände, wie ein festlich Zimmer,
Dort blieben immer ungefesselt die Hände einer Frau, und was sie leis' nur wünschte,
Erhielt sie dort in allen Stunden auf ihr Geheiß.
Und dreißig Tage ward ihr jeder Wunsch, ob klein ob groß, erfüllt um jeden Preis.
Und wurde schwanger dann ihr Schoß, ließ man sie frei und los
Und achtete die Heiligkeit der Mutter bloß.
Doch hat sie nach den dreißig Tagen kein Kind unter dem Herz getragen,
Führt man sie hundertdreizehn Stufen tief in ein Gelaß,
Wo in der Mauerdecke ein mächtiger Eisenhaken saß.
Hoch über einen Brunnenschacht war dieser Haken angebracht,
Ein Tau mit einer Schlinge hing dran fest. Die zog der Henker um den Hals der Frau schnell an.
Vom Leben war ein kurzer Schrei der Rest.
Über dem Brunnentrog schwang sich die Leiche an dem Strang noch manche Stund'
Und blieb, bis sie der Brunnenabgrund zu sich zog.
Ein Bündel bunten, welken Laubes fand ich an diesem Haken,
Und als ich übern Trog mich bog, hört' ich ein Echo unten,
Als ob auf Flügeln drunten der Tod aufflog,
An unterirdischen Hügeln das Rauschen auch von einem Fluß vorüberzog.
Ich mußte lang' die Todeslandschaft am Brunnenrand belauschen.

 


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