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Beim »König der Kuriositäten« in Nikko

Ich saß in den Abendstunden in Nikko beim König der Kuriositäten, der hatte Bücher, in alte, gedämpfte Seide gebunden.
In denen habe ich die Liebesgeschichte des japanischen Reiches, in Farben und Holzschnitten, wie inbrünstige Gedichte gefunden.
Auf Strohmatten Männer im Frauenschoß im Nachtschatten lagen, und der schwarze Tuschestrich konnte dir die Wollüste ihrer Umarmungen sagen.
Mann und Weib, jedes die Augen schloß, und tausend Millionen Augen öffneten sich dafür an ihrem Leib, in ihrem Blut,
Wie vor den Papierfenstern die Nacht mir tausend Sternensonnen klar liegt und doch im Dunkel ruht.
Da war die Feier von Bacchanalen, wo die Falten der blumigen Kleider, die Landschaften der Wandschirme, die Frisuren und Gesichter, die Reisweinschalen,
Die nackten Schenkel und Brüste, die Gitter der Veranden und die Flammen der Windlichter und die rasierten Lippen der Männer, die kahlen,
Die Frauenschultern und halbnackten Menschengestalten einen krausen Teppich der Wollust malen.
Maler, die sonst nur Schmetterlingslandschaften auf den kleinen Fächern und in den leeren Gemächern hinstellen, ließen hier die Liebespaare erscheinen, –
Männer von schwarzen Frauenhaaren umschlungen; dichter rücken die Körper zusammen, beredt mit Lippen und Zungen.
Die erhitzten Gesichter werben um Gunst, und die blau und roten Gewänder, weit geöffnet, zeigen die fliegenden Frauenbrüste in der hellen Brunst.
Der Mundwinkel, der geküßte, ist oft schmerzgebogen, als will er sagen, daß die Liebeslüste nur zu schnell vorüberzogen,
Und daß ein Kuß oft nur ein knapper Trunk ist in unendlicher Wüste.
»Wer ein solches Bild in der Tasche auf der Brust trägt,« pflegt der König der Kuriositäten zu sagen, »der erweckt, wo er will, die Liebeslust,
So daß kein Weib ihm einen Herzenswunsch abschlägt.« – Ich habe nicht lange überlegt und kaufte die Bilderbände
Und war wie einer, der im Gasthaus den Speisezettel vorsichtig in seinen Koffer hinträgt und sich hungrig zu Bett legt.
In der Nacht bin ich im Nikkohotel oft horchend erwacht. Der Bergstrom im Schluchtbett hat donnernd gekracht,
Und über den finstern Waldbäumen hat manchmal eine Tempelglocke gedröhnt in langen Zwischenräumen,
Wie ein Ruf, der durch die ganze Erde hindurchtönt. Als weckte mein eignes Herz mich auf, das ich in Europa bei der Liebsten gelassen,
Getrennt von meinem Fleisch durch sieben Meeresmassen.

 


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