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Die Delphine vom Nagovaschloß

Nagoya hat ein uraltes Schloß. Fünfmal baut sich Steingeschoß über Geschoß, mit Dächern geschwungen, auf einen Mauerwall gestaut.
Zyklopenmächtig trägt der Wall zur Schau den prächtig vielgeschweiften fünfstöckigen Schloßbau. Ich kam am Nachmittag vor den Schloßgraben,
Davor Soldaten ihre niedrigen Kasernen und Kasematten haben. Schwarze struppige Kiefernbäume auf den grasigen Wällen
Stellen Schattenfiguren an den sonnenhellen Nachmittaghimmel. Ein breites, binsengrünes Grabenwasser voll Linsen und Schlamm
Umsäumt den zyklopenhaften grauen Schloßdamm. Die Steinmauer ist ein Stück Japan aus den Ritterzeiten.
Wie riesige Fledermausflügel breiten sich die geschweiften schwarzen Dächer des hellen Schlosses in die hohe Luft, und darunter, trotzig,
Steht der graue Steinwall wie ein Eisenhügel protzig. Drinnen im Hof besteige ich den weißen fünfstöckigen Bau, komme auf Holzleitertreppen
Durch wuchtige Holzbalkenkammern ins fünfte Stockwerk hinauf; droben rollt sich eine Rundschau über sonnige Reisebenen und wolkige Gebirge und schwarzgezeichnete Wälder auf.
Vor der Stadt weiße, sandige Manöverfelder. Da exerzieren blitzende Truppen im Sonnenschein zuhauf, manövrieren in blanken Gruppen wie kleine Zinnpuppen
Artilleriezüge im Lauf. Bloß ameisengroß sind die Pferde und schmeißen um sich kleine Wolken von Staub und Erde.
Das Schloß, innen und außen, zeigt Kraftgebärde. In den fünf Stockwerken hausen nur leere Wände. Doch dein Auge viel Stärke entdeckt:
Holzbohlen und Balken, gereckt und gestemmt, mit Schwere wie Riesenmuskeln; Riesenbalken bei Balken hockt in den dunklen Holzkammern eingepflockt.
Zwei goldne massive Delphine glänzen droben am höchsten geschweiften Dach, und vom gepflasterten Hof unten siehst du ihrem gelben Glanz noch lange gedankenvoll nach.
Den einen goldnen Delphin führte man einst zu einer Weltausstellung nach Europa hin. Es mußte das goldene Paar, das so manches Jahr und Jahrhundert auf dem Dach gefunkelt,
Sich lange trennen, und vor Gram hat der zurückgebliebene Delphin seinen Goldglanz verdunkelt. Der andere aber, als er aus Europa nach langem Gewander zurückreisen sollte,
Rollte ins Rote Meer; denn das Schiff, das ihn heimführen wollte, sank gestrandet bei einem Korallenriff. Nach Japan drang kaum noch Kunde her vom Untergang, –
Da verbreitet sich eines Tages die Mär in der Runde von einem riesigen Goldfunde. Man fand an der japanischen Küste aus Gold einen Fisch,
Der glich dem Delphin auf dem Dachgerüste vom Schloß von Nagoya, als wenn er einer der beiden Delphine sein müßte, der, den man außer Land gesandt hin nach Europa.
Bald großer Jubel entbrannte, als man ihn wirklich als den Nagoyadelphin erkannte, und als zugleich die Nachricht von seinem Untergang im Roten Meer angekommen.
Schnell sich das Wunder seiner Heimkunft herumspricht: daß der Delphin, vergessend seines Goldgewichts Schwere, vor Sehnsucht durch viele Meere nach Japan geschwommen.
Als man ihn wieder aufgehißt auf das Schloßdach, da wurde auch der andere Delphin, der dunkelgewordene, einsame, nach langer Frist wieder im Sonnenschein leuchtend wach.
Alle Japaner sagten es einer dem andern nach: Es müssen beide Delphine Mann und Frau sein und sich innig lieben.
Darum mußte des einen Goldfunkeln sich verdunkeln, und darum ist der Schiffbrüchige nicht am Meeresgrund liegen geblieben;
Von Sehnsucht getrieben, vergaß er seine Schwere und schwamm, bis er wieder zum andern Delphin aufs Nagoyaschloß kam.
Seit jener Zeit feiert Nagoya jährlich den Tag der Wiederkehr, den Tag, da ein sehnsüchtiger Fisch, goldmetallschwer, den Weg heimfand über manches Meer,
Und aus dieser Sehnsucht ein neues Wunder entstand dem uralten japanischen Wunderland.

 


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