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Der Berg Abu

Ein Berg erschien am Horizont, senkrecht gestellt in derbe Wüstenglut,
Wie ungeheuerlich ein Riesenzuckerhut.
Es war der Berg Abu, um welchen große Heiligtümer stehen sollen,
Tempel der Jainsekte, die sich stets nackt nur wie der Himmel kleiden wollen.
An einer Bahnstation kamen auch Jainpilger schon
In rosig fleischfarbenen Tüchern an den Zug heran.
Über die Nacktheit ziehen sie auf einer Eisenbahn fleischfarbene Mäntel an.
Sie nennen sich die sanftesten der Menschen, doch sie bekennen sich zu großen Nöten,
Weil sie nicht mal das kleinste Tier, nicht ein Insekt mit ihren Händen töten.
Man sagte mir, der letzte König der Jains, er verlor sein Reich,
Er war so weich, daß er an einem Morgen vom Weitermarsch abraten tat,
Aus Furcht, daß die Soldaten Insekten auf der Landstraße zertraten.
Es war ein Regen in der Nacht gefallen und viele Raupen lagen
Unter den Bäumen auf den Wegen.
Der König wollte deshalb nicht den Aufbruch wagen
Und ließ sich lieber mit dem ganzen Heer im Lager von dem Feind erschlagen.
Die Jains, die sich so mit großer Vorsicht selbst zu Tode plagen,
Sind mehr noch zu beklagen, daß sie die Tiere schonen
Und gar nicht nach der Seele des Weibes fragen.
Sie sagen, eine Frau kann niemals selig werden, nie ins Nirwana kommen.
Ich möchte wissen, wie ein Mann sich selber preisen kann,
Sieht er die halbe Menschheit, die Frau, als seelenlose Schöpfung an.
Ich dachte mir, der Jain bleibt ein Tor, wenn er auf seine Einsamkeit stets schwor,
Das Herz ist stets dem Stärksten viel zu schwer,
Er gibt die eine Hälfte der Seele gerne her.
Schwachheit allein fürchtet die Teilung sehr,
Der Starke kann zu zwein nur glücklich sein.
Wie nur ein Jainman, unsäglich leer, sah dieser Berg Abu,
Und dunkel traurig noch dazu, über die Wüste her,
Allmählich ist er hinterm Horizont versunken gleich einem öden Geist,
Um den von ferne nur ein Funken Leben kreist.

 


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