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Erster Blick in Kobe

Kein Rauch und kein Ruß über dem sonnigen Hafen von Kobe stand; keine Schornsteine starren am Himmelsrand;
Graue Dächer, wie eine Ziegelhaut ausgestreckt, so weit das Auge schaut. Dicht mit dem Erdboden vertraut
Liegt jede japanische Stadt dicht an den Boden gebaut und steigt an, sanft über Bergabhänge gestaut, überall mit zahmem, geducktem Gedränge.
Die Stille des Meeres und des Meeres Gedankengröße kamen vertraulich nah an die Gassen zum geruhigen Land,
Und leicht konnte man dort vor dem Frieden den Gedanken fassen, als genösse hier jeder Mensch der Weltseele Größe und wisse nichts von Gut und Böse.
So wenig, wie der Schatten eines Baumes an der Häuserwand des Morgens dalag, weil er gut war, und des Abends, weil er böse, gezwungen wurde und verschwand,
Sondern der Schatten Untertan ist dem regelmäßigen Tag, so auch der Ordnung Untertan und wohlgeordnet des Landes Seele unter der Sonne lag.
Die Straßen der Kaufbuden luden breiter in Kobe ein als in Nagasaki und in längeren Reihn, aber waren ebenso klein.
Ein lebhaftes Stadtleben eilte emsig zwischen den graublauen Ziegeldächern weiter und war dabei wie draußen der Meerglanz unter der Sonne lautlos und heiter.
Da es Vorfrühling war, ging die japanische Menschenschar noch immer in grauer, gedämpfter Seide; sie waren unscheinbar wie Mäuse und farblos in ihrem wattierten Kleide.
In düsterem Stahlblau, Tieflila und Nußbraun waren die meisten mehr nützlich als lustig fürs Auge anzuschau'n. Ich fragte mich oft, wo denn die japanische Buntheit lebt,
Die auf japanischen Fächern und Bildern aus glitzernden Seidenfäden Menschengestalten wie Paradiesvögel aus Regenbogenfarben webt.
Aber der Sommer war noch nicht gekommen, wo sie alle als Schmetterlinge leuchten; jetzt waren sie noch alle gekleidet wie die Aprilwolken, die feuchten. –
Und wenn ich an japanische Bilder dachte, mußte ich mir gestehen, daß auch die japanischen Künstler und Dichter mehr Farben, als die Wirklichkeit täglich hat, sehen.
Denn der Künstler wird ja nie am Leben satt und muß mit seiner großen Sehnsucht vergehen, darf er nicht zeigen,
Was seine Augen hinter den Dingen an neuen Himmeln und neuen Höllen einfingen, darf er nicht das zweite Gesicht sich und den andern zur Welt bringen;
Jene Unwirklichkeitsbilder, die mit ihm stündlich überwältigend ringen, die ihn zum Singen und Malen zwingen,
Die ihn mit ihrer Sehnsucht umbringen, läßt er nicht sein Herz mit der Unwirklichkeit schwingen. –
Der Künstler muß den Unwirklichkeitsbildern frönen, die mit ihm reden, lachen, weinen, stöhnen, die in der Künstlerseele kommen und gehen,
Und sich mit der Wirklichkeit nur im Kunstwerk versöhnen; die aus des Künstlers Einsamkeit sich ihre Werkstatt machen und dort arbeiten, und die berauschen gleich dem stärksten Weine,
Und die seine verborgensten Schmerzen umwandeln in sichtbare Edelsteine. Edelsteine, die dann mehr als tausend Weisheitskerzen plötzlich das Licht in der Welt anfachen
Und bald als Genien erscheinen und bald als Dämonen und Drachen. So lebt der Künstler unsichtbar vor der Welt, unsichtbar in einem ewigen Feuerrachen gleich einem verborgenen Gott;
Aber sichtbar ist er wie die andern aus Fleisch und Blut hergestellt und muß, bedroht vom täglichen Verlachen und Verhöhnen, unter den Menschen als Menschlein wohnen
Und trägt einen modischen Hut auf dem Haupt über seinen rotblühenden Dornenkronen und ist der ewige Weltreisende der Götter in den tief unwirklichsten Zonen.

 


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