Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Dreißig bis vierzig Advokaten

Als ihr liebreicher Friedensruf ohne Echo blieb, goß sie ihre sittliche Entrüstung in einen Brief. »Ich bin außer mir,« schrieb sie. Ich vernahm die hohle Stimme und die anklägerische Betonung der zwei letzten Worte mit einer effektverstärkenden Pause zwischen beiden. Wie, sie rühren sich nicht, die Verblendeten, sagte sie sich fassungslos, sie schlagen die Freundeshand zurück? hat man so etwas je erlebt, freiwillig ins Verderben zu rennen?

Sie will sich nicht vorwerfen lassen, daß sie nicht das Menschenmögliche versucht habe, das Unglück von meinem und Bettinas Haupt abzuwenden. In diesem Sinne verfaßt sie einen zweiten Brief an mich, eine ihrer meisterlich tartüffischen, juristisch-ethischen Episteln. Ich antwortete nicht, trotzdem der Bote auf Bescheid wartet. Sie beauftragt den Dr. Storch, mir eine briefliche Rechtsbelehrung zu erteilen. Ich werfe den Brief in den Papierkorb. Unmittelbar darauf verzankt sie sich mit dem Ex-Cherub, den Grund kann ich nicht angeben, und vermählt sich im Geiste mit einem Herrn Dr. Kranich, der mich abermals mit einer Satzschrift überfällt, worin die Steuerangelegenheit und die Scheidungsangelegenheit schlau mit einander verquickt sind. Da Herr Kranich ein ehemaliges Parlamentsmitglied ist, wie sie mir durch einen Mittelsmann sagen läßt, erhofft sie von dieser kaltgewordenen Würde einen besonderen Eindruck auf mich. Ich antworte nicht.

Sie begiebt sich ins Sanatorium. Sie wird nicht vorgelassen. Sie schreit mit dem Portier, sie beschimpft die Hausdame, sie beschwert sich beim Chefarzt. Sie wird trotzdem nicht zu mir gelassen. Nun meint sie alles getan zu haben, um das drohende Verhängnis von mir abzuwenden. Ein siebenter Anwalt, Dr. Schwalbe, kein Mensch kann ergründen, warum wieder ein neuer, verständigt Hornschuch von der bevorstehenden Klage auf Ungiltigkeit der Scheidung. Hornschuchs augenscheinlicher Gleichmut erregt Gannas Wut. Sie wittert etwas Gefährliches dahinter, der Mann ist ihr im Wege, ihn muß sie vor allem erledigen. Sie verfaßt eine Schrift von zweiundzwanzig Großfolioseiten gegen ihn und reicht sie bei der Advokatenkammer ein. Sie beschuldigt ihn darin der Pflichtverletzung und des eigenmächtigen Handelns; um sie zur Scheidung zu zwingen, habe er ohne meinen Auftrag und mein Wissen die Sperre ihrer Bezüge angeordnet. Schon wieder Erpressung, halloh, halloh, wer dort? hier Erpressung? nein dort Erpressung. Hornschuch ist genötigt, sie wegen Ehrenbeleidigung vor Gericht zu ziehen. Bei der Verhandlung werde ich als Zeuge vernommen und kann natürlich nicht umhin, die Beschuldigung als leichtfertig erfunden zu bezeichnen. Meine Aussage macht Eindruck auf den Richter; es übermannt mich; ich gebe ein Bild der unaufhörlichen Verfolgung, die ich von der Frau erleide; im Grunde mache ich mich zum Ritter von der traurigen Gestalt damit. Ganna wird zu einer erheblichen Geldstrafe verurteilt, das ist alles. Da jegliches Geld, das sie ausgibt, von mir kommt, ihr durch meine Arbeit zufließt, bin genau genommen ich es, der die Strafe zahlt. Nachdem das Urteil verkündet ist, geht Ganna auf mich zu, holt eine Birne aus ihrer Handtasche, reicht sie mir dar, schüchtern wie eine Autogrammbettlerin, und flüstert bedeutsam: »Eine Alexanderbirne... deine Lieblingsbirne...« Wie war es doch damals? »Ich schenke dir die Scheidung zum Geburtstag...« Immer dasselbe Hineinsterben ins Intervall des Wahns.

In ihrem finstern Zwangstrieb, sie müsse das vermeintliche Komplott Hornschuch-Bettina enthüllen und zerreißen, erhebt sie durch einen achten Anwalt, Dr. Fischlein, Klage gegen Bettina, die in einer Gesellschaft vor Zeugen sie, Ganna, der Lügenhaftigkeit geziehen habe. Auch wieder aus der Luft gegriffen, Geburt eines Haßtraums, Bettina nennt vor andern Leuten niemals Gannas Namen. Aber Ganna schiert sich nicht um Sachverhalte, jetzt ist großes Aufwaschen, die Advokaten sind die Wäscherinnen, es geht alles in einem. Das unsinnige Paar (ich und Bettina) ist nicht zu überzeugen, daß es verloren ist, redet sie sich vor, gut, sie haben es nicht anders gewollt, mein Gewissen ist rein, und läßt endlich, unter dem Beistand eines neunten Anwalts, Dr. Pelikan, die Hauptmine springen: die gerichtliche Anfechtung der Scheidung, womit zugleich meine Ehe mit Bettina angefochten ist. Hornschuch pariert den Streich durch eine sogenannte Feststellungsklage, die bis zum Verwaltungsgerichtshof geht und Ganna in große Unruhe versetzt, denn alles, was sie ihrerseits gegen Bettina und mich unternimmt, erscheint ihr als zulässig und vor Gott und Menschen wohlgefällig, während alles, was gegen sie unternommen wird, frevelhafter Übergriff ist, den sie der Welt mit schrillem Geschrei verkündet. Doch es hilft nicht, ich muß nach Wien reisen, um Vorkehrungen zu treffen und das Gutachten einer juristischen Kapazität einzuholen, daß sowohl Scheidung wie Wiederverheiratung zu Recht bestehen. Es kostet Zeit, es kostet Geld, es kostet Nerven, es kostet Gedanken. Es zermürbt mich. Ich kann von nichts anderm mehr reden. Freunden, denen ich in der Stadt begegne, erzähle ich verwirrt und zusammenhanglos von den Scheusäligkeiten, in denen ich ersticke. Im Hotel sitze ich stundenlang an einem Tisch und lege Patiencen.

Aber warum erlahmt Ganna auf einmal in ihrem Rachezug, will die Klage gegen gewisse »Erfüllungen« zurückziehen, entschuldigt sich mit ihrer mitleidswürdigen Not? Es hat weiter nichts auf sich; es ist das Intervall der Schwäche, das ängstliche Zögern der Pyromanin, bevor sie das brennende Zündholz in den dürren Heuhaufen wirft. Das Graf von Gleichen-Idyll taucht in neuer Fassung auf; sie läßt Bettina den Vorschlag machen, sich in mich zu teilen (wie bitte? etwa wie sich zwei Katzen in eine Maus teilen?). Ganna soll die rechtmäßige Wiener Frau sein, Bettina dasselbe Amt in Ebenweiler ausüben; die Kompetenzen können scharf gegeneinander abgegrenzt werden. Da das edle Ansinnen auf verständnisloses Schweigen stößt, wendet sie sich an einen Pastor, den man ihr als Menschenfreund gerühmt, und liegt ihm in den Ohren, er möge sie mit mir versöhnen. Gott mag wissen, was sie ihm alles erzählt hat; der geistliche Herr schreibt mir einen reichlich anmaßenden Brief. Ich denke mir, das Wort eines Priesters kannst du nicht überhören; anstatt mich aber mit zehn Zeilen zu begnügen (siehe Stanger-Goldenthal), fülle ich sieben Seiten mit der Schilderung von Gannas Charakter und meiner unerträglichen Situation.

Die Anwandlung von Zaghaftigkeit oder Ermattung oder was es war von sich schüttelnd, nimmt Ganna den Waffengang mit verdoppeltem Schwung wieder auf. Wer ist der am meisten zu fürchtende Feind? Hornschuch. Den wird sie sich also zunächst vornehmen. Sie macht ihm Vorschläge, die ihn verlocken sollen, mit ihr zu unterhandeln. Sie benimmt sich gegen ihn wie gegen ein Raubtier, dem man von Zeit zu Zeit einen Brocken Fleisch hinwirft, damit es einen nicht beißt. Sie haßt ihn aus Herzensgrund, aber das Phänomen »Advokat« flößt ihr in jeder Form und Gestalt solchen Aberglauben ein, daß sie den Kopf verliert und die verkehrtesten Maßnahmen trifft. Sie führt kostspielige Ferngespräche mit ihm. Mitten in ihren sonstigen Geschäften und Verrichtungen kommt ihr plötzlich der Einfall, nach Ebendorf zu fahren, wo Hornschuch jetzt haust, dem Sitz des Bezirksgerichts, sechs Kilometer von Ebenweiler entfernt. Eine kleine Lustreise. Sieben Stunden in der Eisenbahn zu sitzen, allenfalls auch bei Nacht, macht ihr so wenig aus wie einem andern Menschen eine Kartenpartie. Die Frau hat Nerven wie Turmseile. Der Endzweck dieser Expeditionen ist ein dreifacher. Erstens will sie Hornschuch einwickeln und kleinkriegen; sie schmeichelt sich, ihn von der Gerechtigkeit ihrer Sache überzeugen zu können. Zweitens wirkt die Nähe des Bezirksgerichts wie ein Stimulans auf sie; selbstverständlich hat sie auch schon einen ansässigen Advokaten engagiert, den elften oder zwölften, einen politischen Gegner Hornschuchs, durch den sie den Verhaßten zu Fall zu bringen hofft. Drittens hat sie in der Wirtsstube des Hotels, in dem sie wohnt, nützliche Stammtischbekanntschaften gemacht, allerlei Provinzbonzen und kleinstädtische Honoratioren, denen sie schlau um den Bart geht, wobei sie ihre reaktionäre Gesinnung betont und sich ins Parteienwesen mischt. An gemütlichen Bierabenden erzählt sie den vor Neugier platzenden Lauschern larmoyante Geschichten aus ihrem Ehemartyrium oder wie erbarmungslos sie von einer gewissen Dame oben in Ebenweiler verfolgt werde.

Eines Tages zwischen Weihnachten und Neujahr, unternahm sie wieder einmal einen Überfall auf Hornschuch. Sie flehte ihn an, er möge mich zur Zahlung jener Zuwendungen für Doris bewegen, die ich seit Monaten nicht mehr an sie selbst geleistet. Daß ich das Geld bei Heller und Pfennig für das Kind verausgabt hatte, hielt sie für ratsam nicht zu erwähnen. Als Hornschuch es ihr in Erinnerung brachte, antwortete sie mit unlogischer Wut, sie sei die Mutter, und wenn man das Geld nicht ihr gebe, betrachte sie es als nicht gegeben. »Ich verstehe,« gab Hornschuch mit dem Lächeln zurück, das Ganna mephistophelisch nannte, »Ihre Tochter ist der lebendige Schuldschein, den Sie dem Vater vorweisen, wenn es Ihnen an den Kragen geht. Blendende Idee.« – »Nein!« schmetterte Ganna, weiß vor Zorn, »ich verbitte mir nur, daß Frau Bettina bestimmen soll, wieviel meinem Kind von seinem Vater zugesprochen wird. Es ist eine Schmach.« – »Von Frau Bettina ist hier weit und breit nicht die Rede,« bemerkte Hornschuch kühl. Sie schmälte böse vor sich hin, auf einmal wurde sie weich wie ein Schwamm, den man ins Wasser taucht, fing an zu schluchzen und entwarf ihm ein so unglaubliches Bild ihrer Lage, daß ihm, wie er mir gestand, für eine Weile Hören und Sehen verging. Er sagte, möglicherweise ließe sich ein Ausgleich mit ihren Gläubigern treffen; zu diesem Behufe müsse sie jedoch ihre Schulden offen einbekennen, das ganze Ausmaß, und vor allen Dingen die Advokaten abschaffen. Da kam er aber schön an. Sie wurde fuchsteufelswild. Bedingungen? O nein, so weit sei sie noch lange nicht. Auf ihre Advokaten verzichten? Das fehlte noch. Damit sie den Verfolgungen der Dame Bettina schutzlos preisgegeben sei? Dafür bedanke sie sich. Das werde man nicht erleben. Habe man doch bereits versucht, sie für unzurechnungsfähig erklären zu lassen, die Intrige sei aber Gottseidank vorbeigelungen (sie stieß ein hartes Gelächter aus und sah Hornschuch durchbohrend an wie ein Kriminalist, der einen Mörder beinahe überführt hat). Wieso vorbeigelungen? fragte Hornschuch teilnahmsvoll. Ja, sie sei sofort zu einem berühmten Psychiater gegangen, und der habe ihr nach zwanzigminütigem Gespräch ein glänzendes Parere ihrer geistigen Gesundheit ausgestellt; wenn Hornschuch es zu sehen wünsche: bitte! Und schon durchwühlte sie ihre Aktentasche nach dem Dokument, das sie offenbar mit dem Frohlocken erfüllte wie einen kleinen Unterzauberer das Dienstzeugnis des großen Haupt- und Oberzauberers.

Da die Unterredung mit Hornschuch erfolglos verlaufen war, mietete sie einen Schlitten und kam eine halbe Stunde später aufs Bucheggergut. Unser Mädchen wußte, wen es vor sich hatte, und ließ sie nicht ein. Wir saßen gerade beim Tee, Bettina, ich und Doris, die zu den Weihnachtsferien bei uns zu Besuch war. Wir hörten, wie Ganna draußen vor der Tür tobte und schrie. Bettina trommelte mit den Fingern auf dem Tischtuch und sagte leise: »Geh nicht hinaus. Geh nicht hinaus.« Ich ging aber doch hinaus. Ich mußte doch die Frau wegbringen. Ich herrschte sie an. Was sie wolle? Na, was sollte sie wollen? Geld. Sie stöhnte, heulte, röchelte um Geld. Dazwischen Beschimpfungen und Vorwürfe. Ein paar Meter entfernt stand der Schlitten; der Kutscher auf dem Bock schüttelte fortwährend den Kopf, was mir sonderbarerweise einen tiefen Eindruck machte. Im Hausflur standen erschrocken die Dienstleute. Angesteckt von Gannas Gebrüll, fing ich ebenfalls an zu schreien. Niemand in diesem Haus hatte mich je schreien gehört. Es gibt auch nur einen einzigen Menschen auf der Welt, der mich dazu vermocht hat, zu schreien, und das ist Ganna. Ich weiß nicht mehr, wie ich es endlich fertigbrachte, daß sie wieder in den Schlitten stieg. Ich stand an der Treppe und wartete, bis das schellenbehangene Roß mit dem kopfschüttelnden Kutscher in der Dunkelheit verschwunden war. Ins Haus zurückgekehrt, rief ich nach Bettina. Sie hatte sich in ihrem Zimmer eingesperrt. Doris stand vor dem Teetisch und schaute mich mit großen, bangen, mitleidigen Augen an. Ich ging in mein Schlafzimmer und warf mich ins Bett.

Alles dies waren aber nur Vorpostengefechte Gannas. Kurz darauf errechnete sie, daß ich ihr fünfundzwanzigtausend Schilling schuldete. Wie sie zu dieser hübschen runden Summe kam, kann ich nicht sagen. Es hätte ebensogut eine halbe Million sein können. Ärzterechnungen, Schneiderrechnungen, »Rückstände« von Jahren her, »Imprévus« zu Dutzenden, Auslagen für die Kinder, eine Ziffernkolonne wie bei der Ziehung einer Lotterie. Ich glaube, das bloße Aufschreiben bereitete ihr genau so viel Vergnügen wie wenn sie das Geld einkassiert hätte. Das Gericht in der Kreishauptstadt wies die Klage mangels beweiskräftiger Stützen ab, trotzdem zwei neue tüchtige Anwälte sich dafür ins Zeug gelegt hatten. Ohne einen Augenblick über die Uneinbringlichkeit der Schuld und die Frivolität der Klage nachzudenken, sagte sich Ganna: wenn ich in diesem Land nicht zu meinem Recht komme, so vielleicht dort, wo ich nach meinem Paß und als Alexander Herzogs Ehefrau zuhause bin. Fuhr spornstreichs nach Berlin, fand willige Advokaten, gleich drei auf einmal, und reichte mit einem großartig stilisierten Schriftsatz die Klage ein. Aber siehe da, aus den fünfundzwanzigtausend waren mittlerweile neununddreißigtausend geworden, infolge Hinzurechnung des Betrags nämlich, den sie der Steuerbehörde schuldete. Ich stellte mit Befriedigung fest, daß die reizvolle Zahlenbesoffenheit Ganna nicht an einer gewissen kaufmännischen Genauigkeit verhinderte. Zugleich machte sie in der Reichshauptstadt, allwo sie jetzt eine Art Amtsfiliale errichtete und, wo man ging und stand, die Advokaten mit Händen zu greifen waren, die Klage auf Anfechtung der Scheidung anhängig. In der Tat war sie damit vor die richtige Schmiede gekommen. Die zwischen den Staaten herrschende Unsicherheit in der Ehegesetzgebung ermöglichte ihr dieses unterhaltende juristische Abenteuer; es war eine der vielen Breschen des Rechts, in die findige Advokaten gern ihr Stemmeisen bohren.

Aber sie hatte auch gesellschaftlichen Erfolg in der deutschen Metropole. Sie lernte eine Unzahl Menschen kennen, denen sie ihr Leid klagen konnte. Da über den wahren Sachverhalt niemand unterrichtet war, fand sie überall Glauben und Mitgefühl. Durch die verschwenderische Austeilung der »blutenden Psyche« befestigte sie ihre Stellung als ideale Vertreterin der Gattinnenliebe, die von einem grausamen Gemahl und seiner Betörerin an den Rand des Hungertodes gestoßen war. Sie besuchte fleißig die Caféhäuser, wo Schriftsteller verkehrten und wo sie Reklame für ihr edles Unglück machen konnte. »Sogar die Wucherer weinen, wenn ich ihnen meine Not schildere,« äußerte sie einmal unter dem verständnisvollen Gemecker einer hochliterarischen Tafelrunde. Vielleicht hatte sie so Unrecht nicht. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich die Seele des modernen Wucherers im Gegensatz zu dem Versteinerungsprozeß, dem alle andern Seelen unterlegen sind, seit Balzacs und Dickens Zeit humanisiert hat. Die Folge ihres empfindsamen Ausflugs auf den neudeutschen Olymp war jedenfalls, daß ich mit anonymen Briefen voller Schmähungen und unverschämter Ermahnungen, mich zu bessern, bedacht wurde. Dazu Advokatenbriefe ohne Zahl. Sie kamen mir vor wie Stoßpatrouillen vor der Schlacht, die entschlossenen Herren, die gleichsam mit geballter Faust gegen mich anrückten. Einer schrieb klipp und klar, er werde, wenn ich die neununddreißigtausend nicht bis zu einem bezeichneten Termin zahle, meine Bezüge beim Verleger beschlagnahmen lassen. Ich schmiß den Wisch zu den andern zwei- bis dreihundert von derselben Gattung und Herkunft. Ich mußte lachen. Meine Schluderwirtschaft und der gloriose Notariatsakt hatten mich beim Verleger bereits so dick in die Kreide gesetzt, daß für die gewissen winzigen Greifhände längst nichts mehr zu »beschlagnahmen« war. Wunderbares Wort, beschlagnahmen, eigens gemacht für die winzigen Hände. Aber Ganna redete ihren Advokaten ein, ich hätte mittelst einer Schiebung Geld ins Ausland verbracht und das Debet beim Verleger sei künstlich fabriziert. Eine Version, die ihr die Möglichkeit verschaffte, auch den Verleger vor Gericht zu zerren. Zu allem übrigen begann sie jetzt mit der Bigamieklage zu fuchteln. Einige Freunde, die davon gehört hatten, beschworen mich brieflich, ich dürfe es dazu nicht kommen lassen. Aber was sollte ich tun? Um Gnade winseln? zu Gericht laufen und sagen: schützt mich vor den Advokaten, sie fressen mich auf bei lebendigem Leibe, nehmt den Teufel in Gewahrsam, sonst ist es aus mit mir? – Unsinn. Die Gerichte hätten mich selber in Gewahrsam genommen.

Eines Tages sagte ich zu Hornschuch: »Erklären Sie mir doch, ich frage wie ein Kind, lachen Sie mich nicht aus, aber alle diese Advokaten, es sind doch Männer, besonnene, erfahrene, zweifellos auch honette Männer, kapieren denn diese Leute nicht, was da vorgeht und wozu sie mißbraucht werden?« Hornschuch ließ mich ruhig ausreden. Er betrachtete mich schweigend, mit sardonischem Schmunzeln. Die Art, wie er es vorzog, nicht zu antworten, war ungemein beredt.

Und damals waren es erst siebzehn oder achtzehn Anwälte, die Ganna besoldete oder zum Teil schon verabschiedet hatte oder auch nicht besoldete und nicht zu verabschieden wagte. Heute ist ihre Zahl auf nahezu vierzig gestiegen, genau läßt es sich nicht sagen, da sich die Namen von einigen in dem Wust der Prozeßhandlungen verloren haben. Diese Leute mußten doch alsbald dahinterkommen, daß der Beistand, den sie der Frau leisteten, nur zur Stachelung, nimmermehr zur Stillung ihrer Triebe führte. Was bestimmte sie also, ihren Geist, ihre Kenntnisse, ihre Arbeitskraft einem Menschen zu widmen, der die starren Paragraphen des Gesetzes in krankhafter Verbohrtheit den eigenen Wünschen gefügig machen wollte? Vermutlich sagten sie sich: den Gewinn werden wir einstreichen, wenn der andere Teil nicht mehr japsen kann und jeden Preis bezahlt, um endlich Ruhe zu bekommen. Damit aber war die herrschende Rechtsunsicherheit überhaupt gebrandmarkt, die Zweideutigkeit der Gesetze, der tödliche Schematismus des Vollzugs, die Lebensfremdheit der Richter, der Dornenweg der Instanzen und über all dem, hilflos und tyrannisch, der Staat, ein Kronos, der seine eigenen Kinder fraß.

Es war nichts getan und nichts erklärt, wenn ich und andere versuchten, Gannas Fall klinisch einzuordnen. Eine Armee von dreieinhalb Dutzend Advokaten ist ein Einzelfall. Der Gedanke an eine geheimnisvolle Bindung drängte sich mir immer stärker auf. Es konnte nicht anders sein als daß Ganna in der Atmosphäre von Unterredung, Erwartung, Beratung, Angriff, List, Spruch und Widerspruch eine erotische Glücksquelle fand, Ersatz für Vertrautheit mit einem andern Wesen, Ersatz auch für die Qual, die Lust wird, wenn man sie diesem andern Wesen bereiten kann, und nicht minder Lust, wenn man wähnt, sie unverdient zu leiden. Der Aufenthalt in den Kanzleien, Geruch von Tinte, Aktenstaub und Löschpapier hatte zweifellos eine sinnliche Wirkung auf sie. Mit jedem neuen Advokaten schloß sie gewissermaßen eine neue Ehe, eine Qualehe. Wenn sie mit einem von ihnen sprach, vor Gericht, in der Kanzlei, bei sich zuhause, trat eine eigentümliche süßliche Koketterie an ihr hervor, eine Willfährigkeit und Dankbarkeit, die freilich jeden Augenblick in Zänkerei und ehestandsähnliche Szenen umschlagen konnte. Es war ihr zur Gewohnheit geworden, den gerade amtierenden Leibadvokaten Tag für Tag in aller Frühe ans Telephon zu zitieren, um ganz bedeutungslose Fragen zu stellen, gänzlich unnütze Anordnungen zu treffen, so als wolle sie nur seine Stimme hören, als wolle sie sich vergewissern, ob er ihr nicht über Nacht die Treue gebrochen habe. Da wurde dann auch der elektrische Draht zum Lustspender. Telephon und Telegraph waren Apparate der Zauberei, mittelst deren sie sich, unseiend und gegenwartslos, wie sie war, in die Zeit und ins Bewußtsein der ihr verhafteten Menschen versetzte, von denen sie sich Zeit und Bewußtsein borgte, um überhaupt existieren zu können. Wie weit ins Nächtige und Chaotische wird man von einer solchen Seele geführt, wenn man ihr in ihre Abgründe folgt!

Gespräche in einer andern Welt

Eines Tages mußten Bettina und ich nach München fahren, um uns mit einem dortigen Anwalt wegen der Eheanfechtung zu besprechen. Helmut saß, vor unserer Abreise, mit uns am Frühstückstisch. Er beklagte sich ungehalten. »Warum geht ihr denn schon wieder fort?« – Ich erklärte ihm, es sei notwendig. »Aber warum alle zwei, warum nicht du allein?« trotzte er. Bettina strich ihm mit der Hand über den Scheitel und sagte, ich wünschte, daß sie mitgehe. Er dachte lange nach, dann blitzte er die Mutter aus seinen blauen Augen schelmisch an und stieß heraus: »Ich weiß schon warum.« – »Warum glaubst du, Männlein?« fragte ich ihn. Darauf er, voll Stolz: »Wie bei den Tieren.« Bettina und ich schauten einander verdutzt an. »Wie meinst du das, Helmut?« Und er, wieder mit dem Schalk in den Augen: »Sicherheit.«

Er versank eine Weile in Nachdenken, dann: »Nicht wahr, Mutter, wir drei sind die wirkliche Familie, du, Vater und ich, wir gehören zusammen?« – »Ja, Helmutchen, gewiß.« – »War ich dabei, wie ihr euch kennengelernt habt?« – »Nein, mein Süßer.« – »War der liebe Gott dabei?« – »Der allerdings.« – »Hat er gelacht?« – »Weshalb hätte er lachen sollen?« – »Weil er sich auf mich gefreut hat vielleicht.« Da sprang die Hauskatze, die mit gestrecktem Schweif um den Tisch geschlichen war, auf des Knaben Schoß. Er blickte sie zärtlich an und fragte, um menschliche Überlegenheit zu markieren, mit gicksender Stimme: »Hast du Augen? hast du wirklich Augen?«

»Er macht es einem schwer, von ihm wegzugehen,« sagte Bettina nachher zu mir.

Zwei Frauen

Schon vor dem ereignisreichen Januartag, von dem ich jetzt erzählen will, hatte ich gespürt, daß etwas Entscheidendes in Bettina vorging. Ich hatte aber nicht den Mut, sie zu fragen. Seit einiger Zeit lebten wir sonderbar stumm nebeneinander her, fast wie zwei Sträflinge, die zu lang in der gleichen Zelle eingesperrt sind. Es war beängstigend, weil es so ganz und gar wider die Art Bettinas war. An dem erwähnten Tag hatte Hornschuch bereits um neun gemeldet, daß Ganna wieder einmal in Ebendorf weile. Sie sei eilends aus Berlin zu einer Verhandlung gekommen, die vor dem Bezirksgericht stattfinden sollte. Streitgegenstand: die ihr entzogene Zuwendung für Doris, ferner das Monatsgeld für das Kind für die acht Sommerwochen, während welcher Doris bei mir im Hause gelebt hatte. Nach dem Wortlaut des Notariatsakts war ich in diesem Punkt im Unrecht; nach meinem laienhaften Dafürhalten handelte es sich um eine Doppelleistung, beruhend auf dem Kralsprinzip der »Widerlage«, und meine Verhältnisse erlaubten mir alle diese Widerlagen nicht mehr.

Um ihren Anspruch zu sichern, hatte Ganna vom Gericht eine einstweilige Verfügung erwirkt, kraft deren mein Konto bei der kleinen Bankfiliale in Ebendorf gesperrt wurde. Es war weiter kein Unglück, ich hatte kein Kapital dort liegen, das für den laufenden Monat eingezahlte Geld reichte für eine bemessene Frist, dann mußte man sehen, wie man wieder neuen Vorschuß bekam. Immerhin war es eine unangenehme Maßregel; sie lieferte bösen Mäulern den Stoff zu abträglichem Gerede, und schließlich brauchte man auch einiges Bargeld für den Betrieb des Hauses.

Um neun Uhr hatte uns Hornschuch von diesen Vorgängen verständigt. Dann ging es Schlag auf Schlag wie im fünften Akt eines Revolverdramas. Um neun Uhr zwanzig kommt der Gerichtsbote mit einer Vorladung. Um neun Uhr fünfundvierzig lädt Gannas Ebendorfer Anwalt mich und Bettina telephonisch zu einer »friedlichen« Besprechung ein. Um zehn Uhr zehn Telegramm eines Berliner Advokaten mit der Aufforderung, am soundsovielten bei einer Tagsatzung zu erscheinen. Um halb elf stürmischer Anruf Gannas: wenn wir die vorgeschlagene »freundschaftliche« Zusammenkunft verweigerten, garantiere sie für nichts und könne das im Zug befindliche Unheil nicht mehr verhüten. Diese bombastische Sprache kennen wir. Abhängen; Schluß. Elf Uhr drei: Expreßbrief eines Wiener Advokaten, des Inhalts, Frau Ganna Herzog habe ihre Februar- und Märzrate an ihn zediert. Elf Uhr fünfzehn: Bote mit einem Brief Gannas, in welchem sie die telephonische Aufforderung wiederholt, aber nun in einer Form und mit Wendungen, daß es Bettina, die plötzlich in den Verschlagenheiten des Gannaschen Stils hängen bleibt, kalt überläuft. An sie war der Brief gerichtet, sie hat ihn zuerst gelesen. Sie versteht zwar, voll Widerwillen, das messerzückende Entweder-Oder in Gannas Epistel, aber die Krallenfinger sind ihr noch nie so nah gekommen. Sie will Klarheit haben und läutet Hornschuch an. Es sind nicht unbedenkliche Umtriebe, teilt ihr dieser mit; Ganna redet unten im Ort, wo immer sie mit ihren Stammtischfreunden zusammentrifft, nicht nur ungescheut von der Bigamie, in der ich angeblich lebe, sondern auch von einem »erschlichenen« Dispens zu meiner Ehe mit Bettina. Unter dem Dispens war die Heiratsgenehmigung gemeint, die mir auf dem Weg eines abgekürzten Verfahrens vom Konsulat erteilt worden war, ein durchaus legaler Vorgang, der aber in Gannas kriminell verseuchtem Gehirn sich so darstellt als hätten Bettina und ich uns die Bewilligung durch falsche Angaben und gefälschte Papiere verschafft; herrliche Gelegenheit also, den Fangschuß auf uns abzufeuern. Bettina, die an diesem Morgen nicht im vollen Besitz ihrer Seelenkräfte ist, erschrickt vor den möglichen Folgen: Verleumdungsgeraune, Kampf gegen Neid, Scheelsucht und längst glimmenden Haß. Hornschuch sucht sie zu beruhigen. Sie liest ihm einige besonders aufschlußreiche Sätze aus Gannas geschriebener Petarde am Telephon vor. Als sie seine Antwort vernimmt: »Ausgezeichnet; daraus wird man die Konsequenzen ziehen«, ist sie drauf und dran, den Apparat zu zerschlagen. »Nein,« schreit sie fassungslos in die Muschel, »Sie werden keine Konsequenzen ziehen. Sie vergessen, daß die Frau den Namen Herzog trägt.« Pause. Hierauf Hornschuch, gedehnt: »Gut. Ganz wie Sie wünschen.«

Als ich ins blaue Zimmer trete, liegt sie auf dem Sofa, in Decken gehüllt, blaß, erfroren. An nebligen Tagen ist sie nur ein Schatten ihrer selbst, und dieser Tag wäre rabenschwarz, auch wenn keine Wolke am Himmel stünde. Ich blicke stumm zu ihr nieder, auf einmal sagt sie: »Ich habe mich entschlossen, mit Ganna zu reden.« Ich schaue sie an als sei sie nicht bei Trost. Sie schnellt mit einem Ruck zum Sitzen auf. »Ich werde sie heraufbitten und mit ihr reden,« wiederholt sie mit der hohen Kopfstimme, die an Helmuts hohes Stimmchen erinnert und die sie immer hat, wenn sie am Ende ihrer Selbstbeherrschung ist. – »Warum? Was solls?« frag ich. – »Ich habe einen Fehler begangen,« klirrt die hohe Stimme, »ich kann mir den Vorwurf nicht ersparen... ich habe mir eingebildet, ich brauche sie nicht zu bemerken... ich war faul, ich war schlecht... sie muß doch durch ein Menschenwort zu packen sein... von Frau zu Frau vielleicht...« Ich starre sie trüb verwundert an. »Versprichst du dir wirklich was davon? Du weißt doch wie ich... in all den Jahren...« Sie unterbricht mich ungeduldig. »Ich muß es wenigstens versucht haben. Ich muß mir sagen können, daß ich es versucht habe.«

Sie schreibt ein paar Zeilen und schickt den Gärtner mit dem Brief nach Ebendorf in den Gasthof, wo Ganna logiert. Ein lustvoller Schauder durchfährt Ganna, als sie die Aufforderung liest, aufs Bucheggergut zu kommen. Endlich! Sind sie zur Einsicht gelangt, die Verirrten? haben sie ihr Unrecht erkannt? oder ist es nur die Angst? Sie stürzt ans Telephon, um mit Bettina zu sprechen. Sie ist so fürchterlich aufgeregt, daß man sie kaum versteht. Herzlich gern will sie sich zu einer Unterredung einfinden, flötet sie, aber nicht im Hause, nein, um Gotteswillen nicht, an einem neutralen Ort, mit tausend Dank an einem neutralen Ort, und natürlich in Gegenwart ihres Anwalts. Auf keinem Fall mit dem Anwalt, erwidert Bettina mit ruhiger Entschiedenheit, auf gar keinen Fall; wenn Ganna sich gehemmt fühle, das Haus allein zu betreten, werde sie ihr auf der Straße entgegengehen und sie begleiten. Ganna gibt nach. Sie vereinbaren die Zeit. Als Bettina eine Stunde später, es ist mittlerweile dreivierteleins geworden, Ganna auf der hochbeschneiten Dorfstraße wider die Abmachung in Gesellschaft des Advokaten erblickt, bleibt sie wortlos stehen. In ihrer Haltung liegt eine solche Unnahbarkeit, daß der Herr es vorzieht, sich mit einer Verbeugung zu verabschieden. Nicht ohne eine abgeschmackte Floskel. Da er zu dem Dutzend Advokaten zählt, die mit Gannas Anfechtungsklage befaßt sind, glaubt er sich, den Hut in der Hand, zu einer Entschuldigung bemüßigt: »Ich hoffe, gnädige Frau, Sie nehmen nicht an, daß ich das Glück Ihrer Ehe antasten will.« Worauf Bettina zu einem lästigen Etwas in die Luft hinauf spricht: »Das Glück meiner Ehe bitte ich gefälligst aus dem Spiel zu lassen« und Ganna durch eine Geste zum Weitergehen auffordert.

Ihres Rechtsbeistandes und damit ihrer Rasanz beraubt, ist Ganna auf einmal ganz kleinlaut. Schweigend stapft sie neben der beschwingt schreitenden Bettina her. Sie trägt ein schwarzes, verknittertes Topfhütchen und eine getigerte Pelzjacke. In der Hand hält sie die dickbauchige Ledertasche, ohne die sie keinen Schritt tut. Es sind alle Akten und Dokumente darin verstaut, deren sie genau so bedarf wie ein Reisender seiner Muster und seiner Preislisten. Jedem halbwegs Bekannten, dem sie irgendwo begegnet, erzählt sie mit wasserfallartiger Geschwätzigkeit vom Stand ihrer Prozesse, zieht den Notariatsakt heraus, ihre Klageschriften, die verschiedenen Rechtsgutachten, die amtlichen Schätzungen des Bucheggerguts, die Trostbriefe ihrer Anhänger und ereifert sich dermaßen, daß sie schließlich nicht mehr weiß, wo sie ist, woher sie kommt, wohin sie geht und mit wem sie spricht.

Bettina, leicht plaudernd, obwohl ihr nichts weniger als leicht zu Sinn ist, streift sie bisweilen mit einem Seitenblick. Seit dreizehn Jahren hat sie Ganna nicht mehr gesehen; seit jener Teestunde, häßlichen Angedenkens. Was liegt nicht alles dazwischen! Ein Leben. Schönes, Hohes, Reines, unsägliche Freuden, das Caspar Hauserchen, wer hätte damals an es gedacht, aber auch Ungutes, Schweres, Bitteres und ein unwiederbringlicher Verlust. Ob die Frau neben ihr etwas davon ahnt? Sicher nicht; sie ist keine Ahnerin, die Frau, sie ist eine Greiferin, solche sind stockblind. Sogar ihr Gang ähnelt dem einer Blinden. Wie armselig sie aussieht. Wenn man ihr nur helfen könnte. Es muß nicht gut sein, so zu sein, wie sie ist. Unnahbar ist so ein Mensch, eisern steckt er in sich selber drin...

Während sie mit Ganna ins Haus geht, der Erregten aus der Jacke hilft, sie ins Zimmer führt und ihr eine kleine Mahlzeit auftischen läßt, die Ganna heißhungrig und mit dankbaren kleinen Ausrufen hinunterschlingt, betrachtet sie sie immer wieder. Mit dem Helm ihres gelbrot gefärbten Haares, unter dem wie unter einer Perücke graue Strähne schimmern, sieht sie aus wie ein fremdartiges Götzenbild. Man merkt ihr kaum an, daß sie über fünfzig ist. Ihre Gestalt ist gedrungen, nur wenig verfettet, ihr Mienenspiel und ihre Bewegungen vibrieren von einer unheimlichen Willenskraft. Der Blick hat durch seine Heftigkeit etwas Erschreckendes. Eine schrankenlose Herrschsucht verkündet sich in ihm.

Allmählich kommt Bettina mit ihr ins Gespräch. Und auf einmal packt sie Gannas Hand, packt die winzige, sommersprossige, uralte Hand wirklich, so wie sie es vor vielen Jahren gewollt, packt sie und sagt: »Frau! Frau! was machen Sie denn! Sie schlagen ja alles um sich her in Trümmer! Haben Sie doch Erbarmen mit sich selber!« Da schaut Ganna tief bestürzt zu ihr hinüber, um ihren Mund zuckt es, die Lider zucken, sie weint. Sie nickt pagodenhaft vor sich hin und weint, weint, weint. »Ich muß doch,« stammelt sie, »ich muß doch.« Sie muß! Und wieder denkt Bettina: eine arme, bettelarme Haut, warum fürchtet man sich denn vor ihr? Sie hat plötzlich so viel Mut und Zuversicht, ihr ist als könne sie von Ganna alles erreichen, was sie will. Sie wählt die vorsichtigsten Worte, die nicht wehtun können. Sie ist zart, bedächtig, schwesterlich, trotzdem sie in ihrem Innern fortwährend mit einem Gefühl des Grauens und einer leisen Übelkeit kämpft, aber dem darf ich nicht nachgeben, sagt sie sich, es geht um alles. Sie sagt sich auch, etwas muß doch noch an ihr sein, in ihr sein, was es erklärt, daß dieser Mann neunzehn Jahre lang mit ihr gelebt hat. Dieses Etwas will sie finden und ausgraben und darauf pochen und zu ihr sprechen: da ist es, Frau, da ist es, was Sie ihm schulden: Anstand, Würde, Billigkeit, Dank, ja, auch ein wenig Dank, da ist es, nehmen Sies wahr, halten Sies fest. Und sie macht Ganna in einer zugleich kindlichen und überlegenen Weise den Hof, wie eine ältere, erfahrene Freundin tun könnte. Aber da wird Ganna sofort mißtrauisch, und als Bettina von Nachgeben redet, bockt sie mit der gewohnten Formel auf: »Warum soll gerade ich nachgeben? Mein ganzes Leben lang hab ich nachgegeben.« Und als Bettina von meinen Existenzsorgen spricht, die wie Wetterwolken über ihr und mir hängen, nimmt Ganna diese Mitteilung wie einen schlechten Scherz zur Kenntnis und erwidert mit ihrem schlauen Besserwisserlächeln, sie habe die bestimmtesten Nachrichten, daß ich ein großes Vermögen in ausländischen Banken liegen habe. Bettina schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, sie muß lachen, sie kann nicht anders, da wird Ganna denn doch stutzig und fängt an zu stottern; etwas Undefinierbares in Blick und Miene der jüngeren Frau leuchtet ihr auf als Wahrheit, ganz trüb nur, ganz Verblasen und schon zum Wiedervergessen bereit, denn mit einer so unbequemen Wahrheit kann sie nicht leben. Es ist ja möglich, überlegt sie mit einem rätselhaften Schmollen im Gesicht wie wenn sie durch die Berührung mit Wahrheit beleidigt worden wäre, möglich, daß auch er nicht auf Rosen gebettet ist, und murmelt ein paar verwundert-teilnahmsvolle Phrasen. Doch als ihr Bettina die Schmählichkeit der Scheidungs- und Eheanfechtung vorhält und daß sie sich damit in den Augen aller anständigen Menschen unheilbar geschadet, erbost sie sich: »Was fällt Ihnen ein, Frau Bettina, da sind Sie gewaltig im Irrtum« und ratscht zwanzig Namen von Freunden und Freundinnen herunter, die auf ihrer Seite stünden und mit ihr durch dick und dünn gingen. Bettina fällt ihr leidenschaftlich ins Wort, strenge Richterin plötzlich, schlank aufgereckt, auf die sittliche Ordnung verweisend, das natürliche Vertrauen, ohne das die gesamte lebende Welt zerbreche. Da erschrickt Ganna, schluchzt erbärmlich und sagt, sie habe nicht anders gekonnt, die Menschen seien so gemein gegen sie, jeder einzelne Tag beginne und ende mit Verzweiflung, niemand habe besseren Willen als sie, liebe das Gute und Edle so wie sie, sie sehne sich so schrecklich nach Verständnis und Ruhe und ein bißchen Behagen und ein bißchen Achtung: was solle sie denn tun? ja, wenn sie es so herrlich hätte wie Bettina, das ganze Jahr an der Seite des geliebten Mannes und in einer so wundervollen Einsamkeit; das habe sie aber nie erreicht, obschon sie sich solche Mühe gegeben; was solle sie denn tun? was verlange denn Bettina von ihr? Abblasen, sagt Bettina, die Waffen nieder! Und sie nimmt die Schluchzende in die Arme, wie schwer es ihr auch fällt, sie spürt die drahtigen Haare, die ungeheuer fremde Haut, den peinlich fremden Geruch, Geruch der Kleider, die im Koffer gelegen sind, Geruch von schlechtem Puder und schlechtem Parfüm, von Eisenbahnfahrt und unaufgeräumtem Gasthauszimmer; sie nimmt sie in die Arme und redet ihr gütig zu: »Mit alledem reiten Sie sich doch nur selber ins Unglück. Alles, was Sie verhindern wollen, geschieht, weil Sie es verhindern wollen. Es zerrinnt Ihnen doch in der Hand und wenn Sie danach greifen, kehrt es sich gegen Sie, wissen Sie denn das nicht?« Ganna, in Tränen aufgelöst, sagt zerknirscht, ja, sie glaube es selbst, sie sehe es ein und wisse jetzt auch, was ich an Bettina hätte, und sehe, welche Fehler sie begangen habe. Das sagt sie laut und vernehmlich, es ist das erste Mal, seit sie denkt und existiert, daß sie zugibt, Fehler begangen zu haben. Bettina horcht hoch auf, sie begreift, was da vor sich geht, sie meint, es sei etwas Wirkliches geschehen, sie läßt sie nicht und läßt sie nicht, sieben Stunden ist sie mit ihr eingeschlossen, von ein Uhr mittags bis acht Uhr abends, dann kommen sie zu einer Art Vereinbarung, die sogleich schriftlich niedergelegt und von beiden unterfertigt wird: man wird ihr einen Teil der Summen, die sie eingeklagt hat und deren Anforderung nicht gänzlich auf Willkür beruht, ratenweise bezahlen (Bettina bezeichnet diese Summen ausdrücklich) ; man wird ihr den Zuschuß für Doris wieder ausfolgen; ich werde ihr die Hand zu Versöhnung reichen und man wird ihr mit Rat und Tat beistehen und aufhören, sie zu meiden. Dagegen verpflichtet sie sich ihrerseits, sämtliche anhängigen Klagen zurückzuziehen, Sperre und gerichtliche Pfändungen aufzuheben und innerhalb kurzer Frist die deutsche Scheidung durchzuführen.

Nachdem dieser Friedenspakt geschlossen ist, ruft mich Bettina ins Zimmer. Ganna geht mit ausgestreckten Händen auf mich zu und sagt jammernd: »Wie schlecht du aussiehst, Alexander, was ist denn mit dir!« Ich überhöre es, schiele aber im Vorbeigehen zerstreut in den Spiegel. »Wir haben inzwischen etwas Ersprießliches zustandegebracht,« teilt mir Bettina mit und weist auf das Blatt Papier mit den Unterschriften, das auf ihrem Schreibtisch liegt. Ich schaue Bettina an, schaue Ganna an, schweige. Da rückt Ganna mit einer Bitte heraus. Sie möchte ein wenig Geld haben. Sie gesteht bekümmert, daß sie nicht einmal ihre Gasthausrechnung bezahlen kann. Bettina schüttelt den Kopf. »Erst müssen Sie tun, was Sie versprochen haben, Frau Ganna,« sagt sie mit einer Bewegung des Kinns gegen das Papier auf dem Schreibtisch. Derweil habe ich, ohne auf ihren durchdringenden Warnerblick zu achten, die Brieftasche herausgezogen und reiche Ganna drei Geldscheine, das volle Drittel der Summe, die sie erst nach Erfüllung der Vertragspunkte als Anzahlung hätte bekommen sollen. Mit einem Ausdruck der Hoffnungslosigkeit wendet sich Bettina ab. Sie hat den blödsinnigen Mißgriff sogleich erfaßt. Ich hätte wissen können: wenn Ganna Geld in der Hand hat, vergißt sie Abmachung, Unterschrift, Versprechen, Schwur, alles. Bettina hat ja meine Geberde verstanden, was verstünde sie an mir nicht, dieses: fort, fort, fort; fort mit dem Geld, fort mit der Frau; aber, so fragt sie sich: darf man so leichtfertig, so gedankenlos, so sinnvernichtend mit der Nervenkraft und der seelischen Arbeit des Andern verfahren?

Ich begleitete Ganna zur Tür. An der Schwelle bleibt sie stehen und schaut mich groß an, voll Vorwurf und Klage. Ich verbeuge mich, nehme ihre Hand und drücke meine Lippen darauf. Bettina kann ihr Erstaunen kaum verbergen. Was tut er da? denkt sie, warum küßt er ihre Hand? Nun, diesmal kapiert sie doch nicht. Es ist wieder das »fort, fort, fort«. Es ist eine fast komödiantische Ehrerbietigkeitserweisung, durch die Ganna für immer zu einer Fremden für mich wird, fremd in diesem Hause, fremd in meiner Welt. Eine Instinkthandlung in Form einer leeren Zeremonie, die nichts anderes bedeutet als den letzten inneren Bruch mit Ganna.

Der Teufel reitet über die Ruinen

Auf diese ganze turbulente Veranstaltung erfolgte schlechtweg – nichts. Sperre und Pfändung wurden nicht aufgehoben. Die Klagen wurden nicht zurückgezogen. Von der deutschen Scheidung war keine Rede. Aber ihr glaubt doch nicht, daß Ganna die geringste Schuld an dem Vertragsbruch hatte? Bewahre. Sie wusch ihre Hände so emsig in Unschuld, daß der Schaum nur so spritzte. Hat sie nicht ihrem Anwalt in Ebendorf »entsprechende Weisungen« erteilt? hat der Eigenmächtige sich nicht aus »prozeßtechnischen Gründen« geweigert, ihre Aufträge auszuführen? Will man leugnen, daß Hornschuch heimtückischerweise »passiven Widerstand« geleistet hat? Wieso denn Herzchen? welchen denn? Das wird nicht gesagt. Behauptung ist identisch mit Beweis. Dann, in einem scholastischen Schriftsatz an Bettina: »Jedermann weiß, daß ich in meinen Handlungen korrekt bis zur Pedanterie bin, somit weise ich den gegen mich erhobenen Vorwurf, ich hätte mich nicht an die Vereinbarungen gehalten, mit Entrüstung zurück, kann es doch keinem Zweifel unterliegen, daß in diesem wie in allen früheren Fällen die Gegenpartei es ist, die sich den Vertragspflichten entzogen hat.« Dixit, Ganna. Und zuletzt, als neueste Sanktion, ein wahrer Purzelbaum des Dünkels: zur deutschen Scheidung kann sie sich erst nach einem Probejahr entschließen, wenn sie nämlich die Überzeugung gewonnen hat, daß ich es mit meinem Friedenswillen ernst meine. Der Dachs schlüpft aus dem Bau, legt ein Häufchen Unrat und grinst sich eins, wenn die Hunde hinter ihm herbellen.

Bettina aber war es zumut wie jemand, der einen Menschen mit Todesverachtung und unter Aufbietung aller Kräfte aus einem brennenden Haus getragen hat und nachher von ihm angespuckt wird. Sie konnte es nicht verwinden. Es war ein seltsam bettinahafter Zusammenbruch, den sie erlitt, ganz leise, ganz still, doch so schlimm wie eine schwere Krankheit. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ich notiere: vierzehn Gerichtsbeschlüsse; zweiundzwanzig Zahlungsbefehle; elf Exekutionsführungen; drei amtliche Schätzungen des Bucheggergutes; vier Ehrenbeleidigungsklagen; zwei Klagen bei der Vormundschaftsbehörde; fünf einstweilige Verfügungen; Pfändung des Autos; Versteigerung meines Schreibtisches; siebenundfünfzig Advokatenbriefe innerhalb von sechs Wochen; Sperre meines Kontos beim Verleger, da ich Ganna die Monatsrate nicht mehr bezahlen kann und meine Einnahmen auf einen Pappenstiel zusammengeschrumpft sind; Prozeß Gannas gegen den Verleger; Ganna in Berlin, Ganna in München, Ganna in der Kreisstadt, Ganna in Ebendorf, immer unerwartet da und dort als ließe sie sich nur mit Flugzeug befördern; immer mit gezücktem Schwert, immer unter Wuchererfäusten verröchelnd; Vermittlungsanträge; Sanierungsvorschläge; Gebrüll, man habe sich mit ihr zu versöhnen, sonst wehe...

Es bleibt sozusagen kein Stein auf dem andern – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Gannas Schulden bei ihren Advokaten allein belaufen sich auf ein Vermögen. Bedenke ich, daß diese Unsummen dazu dienen sollen, die Söldner zu bezahlen, die in ihrem Auftrag gegen mich Krieg führen, daß das Geld, das ich Monat für Monat mit Müh und Not zusammenscharre, der Verwüsterin für die Armierungskosten ihrer juristischen Soldateska zufließt, so wird die ganze Welt zu einem gruseligen Possentheater, einem Totentanz unter Mitwirkung von vierzig Rechtsanwaltskanzleien und ihrem gesamten Personal an Schreibern und Schreiberinnen, Konzipienten und Substituten. Als ich mich an Ferry wende und ihm nahelege, seine Mutter zur Vernunft zu bringen, ehe es zu spät ist, fährt er von Mailand, wo er in einer Autofabrik als Ingenieur arbeitet, zu ihr und beschwört sie himmelhoch, von ihrem Wahnsinn abzulassen. Sie tobt. Sie bezichtigt ihn, ihren Sohn, er sei von Bettina bestochen und bezahlt. Als es mir zu Ohren kommt, ist mir zumut als schüttle mir der Teufel mit Hohngeschrei die lebendige Seele aus dem Leib – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Aber es hat sich auch etwas Wunderbares seitdem ereignet. Von einem gewissen Gesichtspunkt aus betrachtet, war es ein großes Erlebnis für mich. Es begann damit, daß Bettina eines Tages sagte: »Du bist dem Kampf nicht gewachsen. Du gehst dabei vor die Hunde. Schau dich doch an! Von heut ab nehme ich die Sache in die Hand.« Solche Entschließungen waren bei ihr die Folge langer und reiflicher Überlegung. Bei bloßen Worten blieb es dann niemals. Hatte sie einmal einen Vorsatz gefaßt, so führte sie ihn mit unerbittlicher Konsequenz durch. Ihre Willenskraft hat etwas Strahlendes und unbedingt Bezwingendes. Durch und durch tätige Natur, flößt ihr nur die Tat Respekt ein, im Grunde ihrer Seele hat sie was gegen die Träumer, und oft habe ich zu meiner Überraschung bemerkt, daß sie, wenn sie zu träumen schien, in Wirklichkeit dachte, und zwar nicht was man obenhin so heißt, sondern gründlich, mit philosophischem Ernst und in streng gegliederter Kette. Plötzlich hatte sie das Gefühl übermannt als ob sie wider ihr besseres Ich in jahrelanger lauer Bequemlichkeit ein Prinzessinnenleben, ein Zuschauerleben geführt habe; dabei wurde ihr siedendheiß vor Scham. Sie wandelte sich sozusagen zwischen zwei Augenblicken. Das war ihre Begnadigung, das war von jeher das Wunder an ihr, vor dem ich unbegreifend stand. Wer ausschließlich in der Betrachtung lebt, für den ist der wandelbar Bewegte das Unbegreifliche schlechthin. Auf einmal ließ sie alles andere stehen und liegen als ob es nie gewesen wäre, ihre musikalischen Studien, ihre Geige, ihre Bücher, ihre Korrespondenz mit den Freunden, ihre schönen Dinge, alles was ihr das Leben in der Gebirgswildnis, wie sie es oft in jähem Unmut nannte, erträglich gemacht hatte, ja sogar das Caspar Hauserchen mußte zusehen, wie es mit sich selber fertig wurde, und widmete sich ohne Abzug, ohne Einschmuggelung von Freuden und Zerstreuungen nur diesem Einen. Und sie ging radikal zu Werk. Sie studierte die Akten, die Verträge, die Dokumente, die einschlägigen Gesetze und Verordnungen. Sie hatte stundenlange, tagelange Beratungen mit Hornschuch. Sie beantwortete die Klageschriften und die Advokatenbriefe, verkehrte mit den Gerichten, mit den Steuerbehörden, überwachte die Geldgebarung und reformierte unsere ganze Wirtschaft, über deren Verlotterung ihr endlich die Augen geöffnet waren, mit der Strenge eines Ersparungskommissars. Tag und Nacht war sie auf dem Posten, mich vor Überfällen zu schützen. Jeden Angriff Gannas parierte sie mit einer Geschicklichkeit und Umsicht als ob sie zehn Jahre Jurisprudenz getrieben hätte. Ihr klarer Verstand, ihre intuitive Kenntnis des praktischen Lebens zeigte ihr immer den einzig gangbaren Weg. Sie fürchtete keine Gefahr, sie scheute keine Anstrengung, sie geizte nicht mit ihrer Zeit, mit ihrem Schlaf, mit ihrer Gesundheit, der moralische Mut, von dem sie bis in die Fingerspitzen erfüllt war, verlieh ihr manchmal eine Art knabenhafter Freude am Raufen. Sie fuhr nach Wien, um mit einflußreichen Personen zu verhandeln, deren Unterstützung wichtig war, nach Berlin, um einen Anwalt aufzunehmen und meinem Verleger reinen Wein über die Verhältnisse einzuschenken, und so schnell und geistesgegenwärtig sie auch ihre Entschlüsse faßte, versäumte sie doch nie, mich von ihnen zu unterrichten und meine Zustimmung zu erbitten, damit ihr nicht von den plötzlich sehr beunruhigten Gannaleuten der Vorwurf gemacht werden konnte, sie betreibe meine Geschäfte auf eigene Faust und hinter meinem Rücken. Alles erwog sie, den geringsten Vorteil erspähte sie, mit nervöser Wachsamkeit legte sie es darauf an, dem Feinde den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die ganze Frau war Kampf und Flamme. Es war ein Schauspiel wie ich es nie erlebt hatte noch zu erleben hatte hoffen dürfen.

Es hatte aber auch eine erschreckende, ja unheimliche Seite. Bettina war mir doch in anderem Geist verbunden als dem der Gannawelt. Im Geist der Anti-Ganna kann ich wohl sagen. Sie war ja der absolut wahnlose Mensch. Der Mensch, den mir das Schicksal gegeben und zugesellt hatte, damit ich der Wahrheit und der Wirklichkeit teilhaftig würde, statt in Lüge und Schein zu verkommen. Das war doch der Sinn von allem Erlittenen und Erfahrenen gewesen, wenn anders ein Dasein wie das meine überhaupt von einem Sinn gekrönt werden konnte. Und nun, war es Tücke der Fügung, war es höhere Erprobung, deren Endziel vorläufig nicht zu durchschauen war, nun wurde die Gegenganna in Gannas Bahn gedrängt, wurde wider ihr innerstes Wesen genötigt, mit Gannas Waffen zu kämpfen, sich ihr zu stellen, ihr als Schatten in ihre Dickichte und Finsternisse zu folgen; konnte das zum Guten führen? war es gut an sich? »So wie Diana zärtlich hingerissen« hatte ich einst von Bettina geschrieben; aber wurde ich nicht jetzt mittelbar zum Mörder der zärtlichen Göttin? Gewiß, Diana ist auch eine Jägerin, jedoch ihr Revier ist nicht das Gespensterreich, sie geht nicht auf die Jagd nach Schwarzalben, sie läßt sich ihren Weg nicht von den Gannadämonen vorschreiben, – oder sie wird selber zum gehetzten Wild.

Und als ob die Geschehnisse nur darauf warteten, diesen grenzenlos bangen Gedanken Wirklichkeit zu verleihen, sah ich alsbald, daß Bettina körperlich langsam verfiel. Sie wurde anfällig, im höchsten Grad reizbar, fliegende Fieber stellten sich ein, sie verlor an Gewicht, bisweilen machte sie den Eindruck einer von einem unbekannten Gift Vergifteten. Ihr Phantasieleben war gebrochen. In meinem Dienst. Durch meine Schuld. Von fernher durch meine Schuld. Also war Ganna doch die Stärkere. Der Schwarzalb hatte Diana auf ihrem Jagdzug verhext und gelähmt. Von da an, es ist jetzt drei Wochen her, seit ich dies mit Schrecken erkannt, hatte ich nur die eine Sorge, wie ich Bettina dem verruchten Bezirk wieder entziehen konnte. Aber wenn ich davon sprach, lachte sie mich aus. Der Mut, der sie beseelte, war wie eine gläserne Glocke, melodisch tönend, ohne Trübung. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Gestern, den 26. Juni, erhielt ich zum vierten Mal den Gerichtsbefehl zur Ableistung des Offenbarungseides, den von mir zu erzwingen Ganna sich vorgesetzt hatte. Ich verzeichne die einfache Tatsache. Es handelte sich um das angeblich beiseitegeschaffte und versteckte Vermögen, das ich besitzen sollte. Die früheren Male hatte ich Einspruch gegen den Eid erhoben. Einmal war ich auf Bettinas Rat abgereist, einmal hatte ich ein ärztliches Zeugnis beigebracht. Ich hatte noch nie im Leben einen Eid geschworen. Es schien mir ungeheuerlich, gegen die Ehre, gegen allen Verstand, gegen alles menschliche Empfinden, daß ich einer Ganna unter Berufung auf den Namen Gottes schwören sollte, ich besässe die Schätze nicht, die sie mir, nunmehr im wörtlichsten Sinn, aus der Seele pressen wollte. Ich gestehe offen, daß ich unvernünftig genug war, mich davor zu fürchten wie vor einem Mordanschlag. Bettina schüttelte den Kopf über mich. Sie sagte: »Was willst du, was ist dir daran so schrecklich? Du hast ja nichts zu verheimlichen. Es ist eine leere Formalität.« Ich erwiderte ihr, es sei für mich weit mehr als eine Formalität; es sei ein Akt der Verbindlichkeit, bei dem das ausgesagte Wort zu einem unauslöschlichem Faktum werde; einem Menschen wie Ganna überliefere man sich dadurch wehrlos; sie werde nie aufhören, Inzichten zu sammeln, jeder gelebte Tag, jeder verausgabte Geldschein werde von ihr und ihren Spießgesellen beschnuppert werden; sie werde mich auf den geschworenen Eid genau so festnageln wie auf die Unterschrift unter den Ehevertrag vor dreißig Jahren. Bettina sagte: »Du magst Recht haben. Dann bleibt nichts anderes übrig als daß du fortgehst. Geh fort.«

Doch wohin sollte ich gehen? wieder ins Gebirge hinauf wie neulich, ehe dieser Professor Kerkhoven kam? Nein; es war ein mißglücktes Abenteuer. Mich dünkt, ich habe mich vor mir selbst und jenem Mann ein wenig lächerlich damit gemacht. Wenn ein solcher Weg nicht in den Tod führt oder in ein gänzlich umgestaltetes Leben, dann war es eine Farce. Nach dem Gespräch mit Bettina bin ich den ganzen Nachmittag im Haus und im Garten herumgewandert, konnte nicht lesen, nicht arbeiten, nicht denken, kaum richtig schauen. Es ist im Grunde nicht dieser bodenlos unsinnige Eid, vor dem ich Angst habe, es ist all das Vergebliche, das bodenlos unsinnige Vergebliche. Woran geht denn meine Existenz in die Brüche? Da habe ich nun den Rat des merkwürdigen Mannes befolgt und die Hüllen von meinem Leben gerissen, habe mit all der Wahrheit, deren ich fähig bin, dem Schicksal, durch das ich gegangen, Gesicht und Gestalt zu geben versucht, aber was habe ich am Ende erreicht? Nicht zu leugnen, bisweilen hatte ich das Gefühl der Erlösung, die schonungslose Aufrichtigkeit des Bekenntnisses war wie eine Absolution, die mir von einem gnädigen Wesen erteilt wurde; insofern hatte sich der freundliche Rater nicht getäuscht...

Aber es ist ja doch wieder nur Papier, ist ja doch wieder nur Geschriebenes, wendig, zweideutig und vor einem höchsten Forum vielleicht anfechtbar. Es bleibt ein unbewältigter Rest, ein Bodensatz von Zwiespalt und menschlicher Hinfälligkeit. Ich sagte neulich zu Bettina, das ganze Beginnen mute mich an wie wenn man mit einem Hammer, der der Hand nicht gehorcht, einen Nagel in einen Nagel schlägt; vom untern bricht der Kopf, vom obern bricht die Spitze ab.

Was fehlt also? Es fehlt der Arm, der mir hinüberhilft über ein Hindernis, dessen Beschaffenheit ich noch nicht zu erkennen vermag. Es fehlt der Odem eines Menschen, der mir den Geist des wahren Begreifens einhaucht. Wie ein die Finsternis gewaltig durchflammender Blitz müßte mich dies erleuchten. Und der Teufel, der über die Ruinen meines Lebens reitet, würde sich mit Wehgeschrei in die Schlünde seiner Hölle verkriechen.

Ein etwas überspanntes Bild. Aber ich habe ja mein Maß verloren. Als jener merkwürdige Mann zu mir sagte: in sechs Wochen werden Sie bei mir sein, lächelte ich ungläubig. Heute ist schon die achte Woche vorüber. Ich wollte seine Voraussage Lügen strafen. Und doch liegt mir sein Wort wie ein unüberhörbarer Befehl in den Ohren. In manchen Stunden erscheint er mir wie ein Richter, von dessen Spruch mein ganzes ferneres Leben abhängt. Ich glaube, ich werde nicht länger meinen Stolz darein setzen, den Widerspenstigen zu spielen. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –


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