Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Es fiel ihr auf, daß er ziemlich regelmäßig Briefe aus England erhielt. Daß er sie ebenso regelmäßig beantwortete, darüber blieb sie nicht lange im Zweifel. Er hatte ihr erzählt, daß er sich drüben mit einem jungen Ehepaar angefreundet, in einem Ton von gemachtem Gleichmut, der nicht erraten lassen sollte, daß das Interesse an der Frau das an dem Mann überwog. Als er zum erstenmal den Namen Mabel nannte, glaubte Marie ein verdächtiges Vibrieren seiner Stimme zu vernehmen. Es gehörten allerdings ihre Ohren dazu, um eine Nuance aufzuspüren, die jeder andern entgangen wäre. Sie war ungeheuer listig in Fragen. Es ergötzte sie, wenn er rot wurde wie ein kleiner Junge. »Na, rück schon heraus,« sagte sie eines Tages lächelnd, »gesteh doch, daß du dich verliebt hast.« – »Ach was, verliebt,« entgegnete er ärgerlich, »mutest du mir Dummheiten zu?« – »Es scheint aber so,« neckte Marie, »du bist leider ein schlechter Heuchler, du dauerst einen, wenn du lügst.« – »Und du, Marie, siehst das Unsichtbare, das ist dein alter Fehler.« – »In diesem Fall könntest du mich von dem Fehler heilen,« versetzte Marie schlagfertig; »sicher hat sie dir ihr Bild geschenkt, deine Mabel.« – »Meine Mabel? Aber Marie!« Marie lachte laut heraus. »Siehst du! Wenn du ein guter Kamerad wärst, müßt ich dich nicht erst danach fragen.«

Ein wenig beschämt kramte er die Photographie aus seinem Koffer hervor. Marie hielt das Bild eine Minute lang vor sich hin, sah es an, schwieg, verfärbte sich leicht, und als sie es ihm zurückgab, sagte sie: »Schöne Person.« Weiter nichts. Und von diesem Tag an erwähnte sie der Sache überhaupt nicht mehr, schien auch ihr stilles Graben und Beobachten eingestellt zu haben. Vier Wochen später, Kerkhoven hatte um diese Zeit bereits ein Anwesen in der Nähe von Steckborn am Bodensee gekauft und war in voller Tätigkeit, das Hauptgebäude seinen bescheidenen Plänen anzupassen, während Marie mit einem Teil des Geldes, das ihr Frau de Ruyters zur Verfügung gehalten, einen geräumigen Gartenpavillon für ihre Kinderhilfe einrichtete, erschien unvermutet Mabel Hardy; das heißt, sie befand sich auf der Durchreise nach Genf im Inselhotel in Konstanz, allein, ohne ihren Mann. Sie telefonierte Kerkhoven, daß sie da sei und ihn erwarte. Sie wollte eine Woche bleiben.

Diese Woche wurde für Marie zu einer Folter, derengleichen sie bis jetzt noch nicht gekannt hatte.


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