Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Draußen herrschte Schneesturm. Kerkhoven saß beim Kaminfeuer, eine Decke auf den Knieen, den Kopf auf den Arm gestützt. In die tiefe Stille drang von Zeit zu Zeit das langgezogene, hohle Geleier der Lili Meeven. Ein paar Sekunden lang war es deutlicher vernehmbar: die Tür des Refektoriums war geöffnet worden. Es war Aleid, die eintrat und auf ihn zukam, kurzatmig, schweren Leibes. »Ich halts nicht mehr aus, Onkel Joseph,« sagte sie, »die Person macht mich toll mit ihrem Geklöhn. Schaff sie fort, sonst tu ich ihr was an, dem Scheusal.« – »Aber Mädelchen, Mädelchen,« begütigte sie Kerkhoven und streichelte ihre Wange, »was ist dir denn so arg dran? Denk, du bist in der Stadt, und die Autos hupen vor deinem Fenster. Du mußt nur nicht wollen, daß es dich quält. Bei solchen Anlässen ist immer der Wille der Fallstrick.« – Aleid erhob den Zeigefinger. »Hörst du?« raunte sie; »schauerlich. Und hat dir Schwester Else erzählt? jede Nacht schreit sie. Im Schlaf. Es geht einem durch Mark und Bein. Es klingt wie wenn ein Schwein abgestochen wird. Ist denn so jemand noch ein menschliches Wesen, Onkel Joseph?« – »Ohne Zweifel, Kind. Sie selbst hält sich sogar für ein bevorzugtes.« – »Dann muß ich dir sagen, der Mensch ist mir ein Grauen. Ein Grauen ist er mir.« Sie schlug die Hände vors Gesicht und schüttelte sich. – Kerkhoven zog sie neben sich auf die Lehne des Sessels. »Hör mal zu, Aleid,« sagte er ernst, »du läßt dich zu sehr gehen. Du mußt dich zusammenraffen. Du hast eine heilige Pflicht jetzt.« – »Heilige Pflicht?« echote Aleid und starrte ihn mit verzweifelt lachender Miene an, »kommst du mir auch mit der Betschwesterweis? du?« – »Betschwesterweis? Wie dumm, Aleid. Verbock dich doch nicht. Warum willst du, daß ich dich bedauern soll, da ich doch allen Grund habe, dich zu bewundern?« – Sie war erstaunt. Schweigend blickte sie auf seine riesige Hand, die auf ihrer winzigen ruhte. – »Wie lange noch, glaubst du?« fragte er, vertraulich wie eine Frau die andere. – Sie zuckte die Achseln. – »Meiner Schätzung nach kann es sich nur noch um Tage handeln,« fuhr er fort; »willst du es empfangen wie ein Wärter einen Zuchthäusler empfängt? Zum Menschsein geb ich dir noch Zeit, zum Muttersein nicht.« – Sie erbebte vor der plötzlichen Strenge seines Tons. Dann kam wieder der rabiate Trotz über sie. Mit Daumen und Zeigefinger der Rechten drehte sie den goldenen Ring an Kerkhovens Hand und stieß dunkelstimmig hervor: »Rede du nur. Ich schwör dir, ich erwürgs. Wie manche Dienstboten, wenn sie auf dem Klosett entbinden. Du wirst mich nicht dran hindern, bild dir das nicht ein. Ein Kind, das auf so was hin zur Welt kommt... auf diese Welt... eine Verruchtheit, es leben zu lassen. Hättest du mir nur beizeiten geholfen. Du warst meine einzige Hoffnung. Aber ihr kennt alle kein Erbarmen.« – Kerkhoven packte sie bei den Schultern und zwang sie so, ihn anzuschauen. »Gut, wenn dus erwürgt hast, will ich dir helfen,« sagte er ruhig und hielt dem brennenden Blick der Smaragdaugen stand, so lange er sich in seinen bohrte.

Sie erhob sich und schlich mit katzenhaftem Gang davon...


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