Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Alexander auf den Besuch vorzubereiten war unerläßlich, gleichviel welches Maß von Teilnahme er dafür aufbrachte. Am selben Abend setzte sie sich zu ihm ans Bett und fing an, ihm von ihrer Begegnung mit Joseph Kerkhoven zu erzählen. Sie vermied es zunächst, von ihm als dem berühmten Neurologen zu sprechen; sie beschränkte sich auf das rein Persönliche und Private; da Alexander ihre impulsive Art kannte, sich an Menschen anzuschließen, die ihr etwas bedeuteten und ihrem Leben neuen Inhalt gaben, konnte er nichts Verdächtiges darin finden, wenn sie den Nachdruck auf die Sympathie und das Interesse legte, die der Mann in ihr erweckt hatte; vorausgesetzt, daß er überhaupt zuhörte. Sie war dessen nicht ganz sicher, und um ihre wehe Betrübnis über sein stumpfes Daliegen nicht merken zu lassen, übertrieb sie und trug zu starke Farben auf. Das wiederholte sich am folgenden Tag, und da sprach sie schon von der Möglichkeit, daß Kerkhoven auf einer beruflichen Reise nach Wien in Ebenweiler Station machen würde; selbstverständlich würde er dann im Hause wohnen. Alexander kennenzulernen sei sein dringender Wunsch ; »er hat deine Bücher gelesen, »fügte sie schmeichlerisch-werbend hinzu, »er schätzt sie, er liebt sie, er hat dich auch im vorigen Jahr in Freiburg gehört und hat mir viel von dem Abend erzählt und dem Eindruck, den er gehabt...« Eine flüchtige Neugier zeigte sich in Alexander Herzogs Zügen, ein Strahl jener Befriedigung, deren sich kein Schriftsteller erwehren kann, auch auf seinem Totenbett nicht, wenn er vernimmt, daß man ihn bewundert; aber als Bettina hierauf die wissenschaftlichen und ärztlichen Leistungen ihres neuen Freundes rühmte und daß er, wie sie aus verläßlichen Quellen erfahren, die gesamte Nervenheilkunde durch seine Forschungen revolutioniert habe (auch darin ließ sie sich zu einigermaßen unsachlicher Übertreibung hinreißen), spürte sie, wie sich Mißtrauen und Argwohn in Alexander regten. Er sagte aber nichts. Er blieb beharrlich stumm. Er schaute die Finger seiner gespreizten Hand an. Und plötzlich begann Bettina zu weinen. Da erblaßte er um die Augen herum und machte eine Bewegung als wolle er sie an sich ziehen...


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