Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Es klingt unglaubhaft, dennoch war es so: erst im Augenblick der Katastrophe erkannte er, daß das, was ihn mit Marie verband, an die Wurzeln seiner Existenz ging. So, als ob Marie und das Verhältnis zu ihr mit seinem vorzeitlichen Sein zu tun und er ahnungslos darüber hinweggelebt habe. Aber ist dies nicht eine der gewöhnlichsten Unterlassungen, deren sich die Menschen schuldig machen? sollte man sich deswegen schon als Missetäter fühlen? Man muß sich mit den Umständen vertragen und die Geschehnisse als Folgeerscheinungen des eigenen Charakters betrachten.

Desungeachtet hätte es vielleicht ein schlimmes Ende mit ihm genommen, wäre er in den Tagen des ersten Choks allein gewesen. Nicht als hätte er Hand an sich gelegt, dazu waren sein Selbsterhaltungsinstinkt, seine Gabe, Werte gegeneinander abzuwägen, zu groß; jedoch eine innere Zersetzung, etwas wie Fäulnis des Lebensmarks wäre sicherlich eingetreten. Aber die Frage: wie soll man weiterleben? wie soll man es überleben? solchen Verrat, solchen Einsturz alles Vertrauens? diese Frage führte ihn unmittelbar zu Marie zurück. Es war wie wenn man bei einer Wanderung den Genossen verloren hat und erschrocken umkehrt, ihn zu suchen, auch wenn man bemerkt, daß einen dieser in einen Hinterhalt gelockt hat. Zudem: man war Arzt; man hatte, ohne Rücksicht auf sich selbst, an Hilfeleistung zu denken. Denn das Bild, das ihm Marie darbot, war das der vollkommenen Zerrüttung.


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