Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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27

Das Ehepaar Hardy wollte im Oktober nach England zurückkehren ; sie fuhren mit demselben Schiff wie Kerkhoven und die anderen Herren der Kommission. Während der Seereise befestigte sich das zarte Verhältnis immer mehr. Mabels »Schönheit« war vielleicht nur eine besondere Art von hübschem Gesicht, mit edlen Formen, sehr englisch. Und dieses Gesicht erregte bei den meisten Menschen, nicht bloß Männern, eine gewisse Verblüffung hauptsächlich durch die Reinheit der Züge und ihren weichen sanften Ausdruck. Manchmal, wenn Kerkhoven neben ihr saß oder stand, hatte er das Gefühl, noch nie einer so lieblichen Frauenerscheinung begegnet zu sein, so still in sich ruhend, mit einem Lachen und Lächeln, daß man ihr gleich gut sein mußte, wie einem Kind. Aber es ist anzunehmen, daß ihn der Zustand von Bezauberung, in dem er sich befand, mit innerem Unbehagen oft, zu Übertreibungen verführte. Auch davon sprach er mit ihr, wenn sie auf den Deckstühlen nebeneinanderlagen oder die üblichen Promenaden entlang der Reeling machten. »Hätte ich eine erwachsene Tochter, was leicht sein könnte, ich wäre Ihnen gegenüber wohl gelassener,« sagte er. – »Fehlt es Ihnen denn an Gelassenheit?« fragte sie erstaunt, »das ist mir entgangen.« – »Doch, ich habe mich in etwas hineinphantasiert, was sich für meine Jahre nicht schickt.« – »Reden Sie doch nicht immer von Ihren Jahren,« versetzte sie; »warum soll ich mir eine Zahl vorsagen, wenn mir die Zahl nichts bedeutet?« – »Aber ich fühle ihr Gewicht.« – »Mit Unrecht. Waren Sie vor zehn Jahren leichter, vor zwanzig? Sehen Sie. Und kommt es zwischen uns auf die Jahre an? Sagen Sie doch... Sie wissen es ja selbst.« Ihre großen schokoladenbraunen Augen ruhten mit inständiger Bitte auf ihm. Was war es, um das sie bat? Immer das eine: nicht zu nagen, nicht zu zweifeln, an sich nicht, an ihr nicht, das erkannte sie als seine Gefahr und machte ihre Sorge aus.

Solange er sich einseitig als Ziel ihrer Verehrung gefühlt hatte, war seine Gemütsruhe wenig erschüttert worden; es war nur schmeichelhaft, im Brennpunkt der Aufmerksamkeit einer solchen Frau zu stehen; als er sich aber an der eigentümlich kühlen Flamme versengt und seine gütige Passivität sich in zaghafte Anbetung verwandelt hatte, zaghaft, weil er sich das Liebesrecht gründlich und illusionslos absprach, geriet er in diesen Zwiespalt, den Mabel fürchtete und bedauerte. Sie war arglos bis in den Grund ihrer Seele.

Mit Begierde hörte sie ihm zu, wenn er von seinen Plänen und Ideen erzählte. Dann war ihr ganzes Wesen Anfeuerung, Glaube, Erwartung. Es steckte etwas von einem Missionar in ihr, von einer Menschheitsbeglückerin. In streng christlichen Anschauungen erzogen, hatte sie sich zu einem gemütsbestimmten Christentum durchgerungen, das ohne kirchliche und ohne sektiererische Neigungen war, aber sich leicht ins Schwärmerische verlor: namentlich in allem, was die Gestalt Jesu betraf.

Auch von seinem vergangenen Leben sprach er mit ihr, seinem Anfangsweg, seiner ersten Ehe, dem schweren Ringen um Durchbruch, der Freundschaft mit Irlen, von seinen zwei kleinen Söhnen. Und von Marie, immer wieder von Marie, ihrem großen Charakter, ihrem moralischen Mut, ihrem graziösen Geist, ihrer Liebenswürdigkeit und Seelenkraft und der Tiefe und Unerschütterlichkeit ihrer gegenseitigen Beziehung. Mabel sagte sinnend: »Das habe ich alles gewußt. Schon bevor ich Sie kannte. Sonderbar, nicht? Ich bewundere Ihre Frau. Unsinnig bewundere ich Sie. Es muß schwer sein für sie... Ich möchte ihre Freundin sein. Wir könnten uns viel geben.«

Kerkhoven stand seiner eigenen Vergangenheit mit dem Gefühl gegenüber, daß man für eine Mietswohnung hat, aus der man längst ausgezogen ist. Er hatte, seit vielen Jahren, so sehr verlernt, über sich und seine privaten Verhältnisse zu reden, daß es ihm dieselbe Schwierigkeit bereitete als sollte er Vorgänge aus einem früheren Jahrhundert berichten, die er von Ungefähr aus Geschichtsbüchern kannte. Nur Mabels glühende Teilnahme lockte Stück um Stück aus ihm hervor. Und er schaute sie dabei nie an. Er schaute weg als schäme er sich. Als ginge es gegen die Scham, von sich zu sprechen. Aber es war gut, daß er es tat. Jede Frau, die man liebt, ist eine wiederauferstandene Mutter; Erlöserin.

Sie verabredeten, miteinander in Briefwechsel zu bleiben. Im Frühjahr wollte Mabel mit ihrem Mann auf den Kontinent reisen. Sie besaßen am Genfer See ein kleines Gut. Beim Abschied schenkte sie ihm ihr Bild. Als sie ihm zum letzten Mal die Hand drückte, wandte sie sich eilig ab, um ihre Tränen zu verbergen. Und er verkroch sich drei Tage in einem Hotelzimmer in Genua, ehe er sich entschloß, Marie zu telegraphieren und weiterzureisen.


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