Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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44

Kerkhoven fuhr täglich zu Mabel hinüber. Immer war er zeitbedrängt, aber so groß war die Bedrängnis nie, daß er nicht die zwei oder drei Stunden für diese Frau übrig hatte. Und wenn er von ihr kam, war er befeuert, beflügelt, um zehn Jahre verjüngt. »Ich finde, es geht dir ausgezeichnet,« sagte Marie anscheinend erfreut, »so eine amouröse Kur wirkt offenbar riesig erfrischend.« – »Du mußt sie unbedingt kennen lernen,« sagte Kerkhoven. – Marie antwortete spitz: »Ich sehe nicht, was sie verhindern sollte, uns zu besuchen.« Sie unterstrich das »uns«. Am andern Tag brachte er sie mit. Marie war durch das Bild auf eine ungewöhnliche Erscheinung vorbereitet, aber die Wirklichkeit übertraf ihre Erwartung. Sie war verblüfft. Für nichts war sie empfänglicher als für weiblichen Charme, nichts bewunderte sie so sehr wie die Schönheit einer andern Frau. In dieser Hinsicht war sie so neidlos als wäre sie die Mutter aller schönen und anmutigen Frauen auf der Welt, trotzdem es ihr selbst an jugendlicher Anmut nicht gebrach. Die freie Natürlichkeit und arglose Offenheit, mit der ihr Mabel entgegenkam, wie sie sich ihr mit dem ersten Wort gleichsam unterordnete und ihr auf undefinierbare Weise zu verstehen gab, daß sie ihre Grenzen so genau kenne wie Maries Rechte, das gewann ihr die Sympathie Maries vollends, obschon sich zur selben Zeit Zorn und Abneigung in ihr regten. Sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß jene in aller Gutmütigkeit und Ahnungslosigkeit auf Einbruch ausging. Eben war der neue Bund zwischen ihr und Joseph geschlossen und befestigt, man war mit der Vergangenheit endgiltig fertig geworden, alles war Verheißung, alles schien leichter in der neuen Vereinigung, da kam diese Fremde, strahlend unwissend, mit einem romantischen Ideal von Freundschaft im Kopf, und zertrat das junge Wachstum, verstellte die Wege!

Marie gab sich die äußerste Mühe, ihre freundliche Haltung zu bewahren. Sie nahm sich vor, kaltblütig zu bleiben. Wenn sie nicht klug und voraussehend handelte, war Zerwürfnis und Bruch unvermeidlich. Doch was nützt solcher Vorsatz, wenn das Gefühl der Würde verletzt wird, wenn etwas wie heimliche Verabredung vorzuliegen scheint, wenn man eine Beziehung spürt, die einen zum störenden Dritten macht. Das geht gegen den Stolz, und in diesem Punkt war Marie verwundbar. Im weiteren Verlauf des Zusammenseins kam sie sich wie ausgestoßen vor, wie die Teilnehmerin an einem Komplott, das man ihr verschwieg. Zweifellos steigerte sie sich in diese Empfindung selbstquälerisch hinein, aber soviel war sicher, daß sie Joseph noch nie so gesprächig, so heiter, so angeregt gesehen hatte; es schmerzte sie wie ein Biß. Für eine Weile verließ sie das Zimmer; als sie zurückkam, saßen sie nah beieinander; es machte den Eindruck als wären sie Hand in Hand gesessen und hätten einander erschrocken losgelassen. Marie lächelte unbefangen, aber in ihr trübte sich alles. Kerkhovens umstricktes, erregtes, werbendes Wesen empörte, beleidigte sie. Sie fand ihn überaus töricht. Sie genierte sich für ihn. Schließlich wußte sie auch nicht mehr, was sie von der guten Mabel denken sollte. War sie blind? war sie dumm? hatte sie wirklich keine Ahnung, was sie anstellte? unverzeihlich, daß eine Frau so instinktlos war. Als das Mietauto gemeldet wurde, das Mabel ins Hotel zurückbringen sollte, hielt Kerkhoven es für selbstverständlich, sie zu begleiten. »Sie kommen doch mit,« wandte sich Mabel an Marie, und als diese den Kopf schüttelte und Geschäfte vorschützte, bat sie so beweglich, so kindlich unschuldig, Marie möge ihr den Wunsch nicht abschlagen, daß sie sich bestimmen ließ, ja sogar angesichts dieser entwaffnenden Herzlichkeit ihren Groll vergaß.

Sie saßen zu dritt im Fond des Wagens, Kerkhoven zwischen den beiden Frauen. Während der Fahrt wurde es Abend, das Gespräch war ins Stocken geraten. Es ging durch eine andere Übermittlung als durch die Augen vor sich, daß Marie die Gewißheit erhielt, Mabel habe ihren Arm unter den Kerkhovens geschoben. Es war zu dunkel, als daß sie es hätte sehen können, auch wenn sie sich vorgebeugt hätte. Sie spürte es aber wie durch elektrische Leitung, und indem sie schweigend vor sich hinblickte, war ihr zumut als müsse sie aus dem fahrenden Wagen springen, so unsäglich peinvoll war ihr die sinnliche Schwülnis, die, wie sie sich einbildete, von dem Mann an ihrer Seite ausströmte. Ja, sie bildete sichs vielleicht nur ein, jedoch ihr Kummer war keine Einbildung. Zuletzt waren für ihr Gefühl und Urteil immer Geschmacksfragen entscheidend. Schwülnis war ihr, geschmacksmäßig, das Ärgste auf der Welt. Aber durfte sie sich auch nur eine Regung der Mißachtung gegen den Mann gestatten, von dessen Menschenwert und -macht sie den höchsten Begriff hatte, da doch niemand, keiner seiner Patienten, seiner Freunde oder Schüler stärkere Beweise dafür besaß als sie? Obwohl ihr Intellekt schneller war als seiner, ihr Temperament beweglicher, ihre Beobachtungsgabe verläßlicher, ihre Menschenkenntnis unbestechlicher, und obwohl sie dies wußte, hatte sie sich außer bei scherzhaften Anlässen, seinen komischen Zerstreutheiten und Inkonsequenzen, mit ihrer Kritik niemals an ihn herangewagt, denn er war das Absolute in ihrem Leben, das allein Giltige, der dauernde Halt. Man konnte sich über ihn ärgern, wenn er in kleinen Dingen versagte, er konnte einen ungeduldig machen durch seine Dumpfheit und Schwere, aber da war alles aus einem Guß, da war Gestalt und Format, und deshalb dies unheimliche Sichselbertreusein in Fehlern und Vorzügen, der unbeirrbare Gang eines Schlafwandlers oder Verzauberten. Um dies so klar sehen und ermessen zu können, bedurfte es jener glücklichen Mischung von Phantasie und Verstand, die Marie eigen war. Jede andere Frau wäre an der Aufgabe, die ihr ein solcher Mann stellte, gescheitert.

Das alles ging ihr durch den Kopf, während das Auto in der Lichtbahn der Scheinwerfer durch die schwachbeschneite Landschaft glitt. Und auch dies, daß er sich, seit sie ihn kannte, noch niemals erotisch verstrickt hatte. Die schönsten, verführerischsten Frauen waren Luft für ihn gewesen, und wenn ihm eine gar zu auffallend entgegenkam, hatte er sich gutmütig über sie mokiert. Marie hatte es bei seiner entschieden sinnlichen Veranlagung nie recht begriffen. Es schmeichelte ihr keineswegs. Sie schrieb es nicht ihrer körperlichen Anziehungskraft zu, sondern seinem Beharrungswillen, der eingefleischten Abneigung gegen Abenteuer, die in seiner Bequemlichkeit wurzelte und seinem fanatischen Werkfleiß. Was hatte diese Einbrecherin mitgebracht, das ihn aus der Bahn riß? Was für Eigenschaften waren es, die ihn in einen liebeglühenden Knaben verwandelten? Oder war es nur der sogenannte Johannistrieb? Unsinn. Der Mann stand im Mittag seines Lebens, der vergab sich nicht, weil er nichts mehr zu vergeben hatte.

Aber es tat weh. Wie sollte man darüber hinwegkommen? wie handelte man am klügsten? Es großmütig geschehen lassen, mit dem Lächeln einer, die am Ende doch die Siegerin bleibt? Es war was Schmähliches drin. Solche Klugheit schlägt sich oft selber. Szenen machen? auf seine Rechte pochen? Vulgär. Jedenfalls aufmerken, sich keinen Überraschungen aussetzen, sich in der Gewalt behalten.

Richtig gedacht, aber Programme und Vorsätze zerbrechen an brutalen Tatsachen. Als der Wagen vor dem Hotel angelangt war, sprang Kerkhoven zuerst hinaus, reichte Mabel ritterlich die Hand (Marie erinnerte sich nicht, ihn je ihr gegenüber so artig gesehen zu haben) und sagte dreimal nacheinander: »Leben Sie wohl, Mabel.« Und wieder und wieder: »Leben Sie wohl.« Dabei wußte Marie bereits, er hatte sich kurz vorher unvorsichtig verraten, daß sie einander duzten. Und die zärtliche Stimme, die aufleuchtenden Augen! Das Herz schnürte sich ihr zusammen. War es am Ende doch nur die blöde, gemeine Eifersucht?

Während der Rückfahrt blieb sie stumm, unheilvoll stumm. Auch Kerkhoven schwieg, aber in anderer Art, wie ein Mensch, den freudige Bilder umgeben. Es schien als wäre Marie nicht mehr vorhanden. Und sie blieb stumm, als sie zuhause waren, stumm, als sie bei Tisch saßen, sie war für ihn noch immer nicht vorhanden. Sie begab sich früher in ihr Zimmer, als es ihre Gepflogenheit war. Doch als er sich niedergelegt hatte, nach Mitternacht, er hatte noch an seinem Buch gearbeitet, und eben das Licht auslöschen wollte, kam sie im Schlafanzug herein und setzte sich an sein Bett. Er schaute sie erstaunt an, denn er merkte auch jetzt noch nicht, wie aufgewühlt sie war.


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